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Klassiker-Alben aus Lateinamerika: Carlinhos Brown – „Alfagamabetizado“

Carlinhos Brown – „Alfagamabetizado“

Ein neuer Beitrag in unserer Reihe Klassiker-Alben aus Lateinamerika: Carlinhos Brown – „Alfagamabetizado“.

Carlinhos Brown – „Alfagamabetizado“Carlinhos Brown – „Alfagamabetizado“

EMI / 1996
Brasilien / Sambareggae

Mitte der 1990er Jahre wurde Brasilien von der Sambareggae-Welle überrannt. Spätestens damit wurde Bahia international als weiteres musikalisches Zentrum Brasiliens bekannt. Carlinhos Brown leitete eine der führenden Sambareggae-Bands: Timbalada. Jedoch schien ihm der Stil zu wenig künstlerische Weiterentwicklung zu bieten und so startete er 1996 eine Solokarriere, versah die bisher stark von Trommelrhythmen geprägte Musik stärker mit Funk- und Rockelementen, baute Balladen ein und legte Wert auf ausgeklügelte Arrangements. Aber er erreichte damit auch als Perkussionist eine Anerkennung als Musiker und Komponist, wie es seinen trommelnden Kollegen bis dahin äußerst selten erfuhren. Brown bestand darauf, dass Perkussionisten als vollwertige Musiker anerkannt, anständig bezahlt und ihre rhythmischen Ideen als kompositorische Leistung aufgeführt werden. Deshalb lehnte er z. B. Paul Simons Anfrage ab, bei dessen Platte „The Rhythm Of The Saints“ mitzuspielen, weil er mit seinen Rhythmusideen in den Credits nicht erwähnt werden sollte. Carlinhos Brown brach mit „Alfagamabetizado“ wie ein Wirbelwind in die Musikszene ein. Einerseits äußerst druckvoll, zeigte er sich genauso stark in den Balladen. „Covered Saints“ ist z. B. ein sanfter Reggae, dessen Melodie vom Xylophon geführt wird. Und auch in „Argila“ erinnert er gesanglich fast an Milton Nascimento. Ein Song, bei dem man meint, auf der Wiese zu liegen, von Bienen umsummt. In „Cumplicidade De Armário“ präsentiert er ungewöhnliche musikalische Ideen für sein Genre. Die Ballade beinhaltet Rap, aber auch Jazzklänge durch eine gestopfte Trompete und ein Saxophonsolo. Richtig dynamisch wird es in „Bog La Bag“. Zu einem zungenbrecherischen Nonsensetext poltern die Trommeln, fetzen die Bläser. Auch in „Tour“ hat Brown Talent für Ohrwürmer zum Mitjohlen. In „Quixa Beira“ gibt es dann eine Verbeugung vor den Tropicalisten. Caetano Veloso, Gilberto Gil, Gal Costa und Maria Bethania, die „Doces Bárbaros”, eine kurzlebige Supergroup der 1960er, singen hier alle mit zu afrikanischen Gitarrenläufen und energievollen Trommeln. Das ist eben Brasilien. Hier wird kein Star der älteren Generation „Dinosaurier“ oder „Rockopa“ genannt, der mal langsam abtreten sollte, sondern man spielt zusammen und verehrt sich. In „Sao Zé“ kiekst Brown am Anfang wie ein Äffchen, dann kommt eine schmeichlerische Melodie, bis es los geht. Es folgt eine krachige Rumba mit kräftigen Bläsern und Trommeln. Marisa Monte singt verzückt im Hintergrund und der gute Carlinhos stottert sogar ein bisschen beim Singen. Macht auch nicht jeder. Bei „Zanza“ setzt er dagegen den Megaphon-Effekt ein. Wieder eine schöne Melodie und ein Beweis für Browns Gespür für die Dramaturgie eines Albums: Tempo rauf, Melodie rein im Wechsel. Der bekannteste Titel ist zweifelsohne „A Namorada“, ein straighter Funk-Titel mit fetziger Gitarre und schweißtreibenden Bläsern. „Meine Freundin hat eine Freundin“, ein Lied über eine lesbische Beziehung, der ein Hit wurde! Auch sonst geht Carlinhos Brown seine eigenen Wege. Wenn er ein neues Album hatte, gab er damals sein erstes Konzert in den Favelas. Die Karten gab es kostenlos in Supermärkten. Und er gründete eine Musikschule für Jugendliche, bei der nur bleiben durfte, wer sich nicht nur dort, sondern auch in der Schule anstrengte. Das funktionierte offenbar. “Alfagamabetizado“ ist bis heute Browns überzeugendstes Album.

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Hans-Jürgen Lenhart schreibt als regelmäßiger Gastautor für das deutsche Lateinamerika-Magazin Latin-Mag. Er ist Musikjournalist und seit über 20 Jahren Experte für Latin Music. In der Artikelserie Latin Music News berichtet er alle zwei Monate über Neuerscheinungen in der lateinamerikanischen Musikszene.

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