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Latin Music News #10 – Neues aus Argentinien, Brasilien, Kolumbien und Kuba

„Ema Yazurlo & Quilombo Sonoro“

Die zehnte Ausgabe von Latin Mag News ist geschafft und damit hat sich eine Kolumne für Latin Music etabliert, die im deutschsprachigen Raum einzigartig sein dürfte. Vielfältig, aktuell und neugierig zu sein, bleibt auch weiterhin die Absicht. Latin Music ist zwar immer noch was für Liebhaber in Deutschland, aber manchmal ist es auch gut, nicht im Mainstream zu schwimmen. Immerhin besteht insofern Hoffnung auf mehr Aufmerksamkeit wie weltweit immer mehr Leute z. B. Spanisch sprechen. Wer weitere Ideen zur Kolumne hat, bitte melden.

Dago Schelin & Band – „Rosas Heft“

Dago Schelin & Band – „Rosas Heft“o-tone music, edel kultur
Deutsche Volkslieder im Bossa-Nova-Style

Folgt man den Eindrücken von Dago Schelin, einem Nachfahren deutscher Auswanderer in Brasilien, wird dort das deutsche Volkslied „Kommt ein Vogel geflogen“ öfter gesungen als bei uns. Er kann vergleichen, denn nachdem er in Brasilien aufwuchs, lebt er inzwischen in Deutschland. Gehört hat er bei uns derartige Volkslieder nie, aber er fand welche in den Aufzeichnungen seiner deutschstämmigen Urgroßmutter Rosa in Brasilien. Dies verleitete ihn, die Volksweisen neu einzuspielen und sie mit angejazztem Bossa-Nova-Swing zu versetzen. Selbst wer keinen Bezug zum Volkslied hat, dem dürften sie in diesen Arrangements annehmbarer klingen, weil sie weniger steif wirken. Schon vor Jahren war Manfred Krug mit dem fast gleichen Konzept bei deutschen Weihnachtsliedern erfolgreich. Die Synkopierung und harmonische Veränderung lässt die Melodien unberührt. Dies macht fast vergessen, dass uns an den Texten deren Überdosis romantischer Verklärung auch unabhängig von der Vereinnahmung durch Altherrengesangsvereine manchmal auf Abstand gehen lässt. Wenn Schelin zwischendurch mal ins Portugiesische wechselt, fällt zudem auf, mit wie wenig Worten diese Lieder auskommen. Brasilianische Klassiker wirken fast eloquent dagegen. Am besten wirkt die Mixtur, wenn den Stücken mehr Tempo gegeben wird.

Nordic Choro – „Nordic Choro II“

Nordic Choro – „Nordic Choro II“Zebo Records, Playground Music Oy
Finnland, Brasilien / Choro

Ein ähnliches Empfinden wie bei Schelin dürften Finnen beim Hören der Gruppe Nordic Choro haben. Die finnisch-brasilianische Gruppe spielt skandinavisches Liedgut in der Besetzung brasilianischer Choro-Gruppen, also mit Bandolim-Mandoline, Pandeiro, Gitarre und Bass. Das Tempo ist etwas langsamer als im normalen Choro und wenn die Band ab und an ein Saxophon dazu nimmt, klingt es eher nach Bossa Nova. Einmal ist sogar eine Rumba dabei. Das wirkt auch wegen der schönen nordischen Melodien sehr angenehm und erinnert manchmal an den Sound von Quadro Nuevo. Ein ungewöhnliches Projekt, aber es kommt bekanntlich öfters vor, dass lateinamerikanische Musik in Skandinavien auf großes Interesse stößt.

Juan José Mosalini, Jorge Rodriguez, Sandra Rumolino – „Alma De Tango“

Juan José Mosalini, Jorge Rodriguez, Sandra Rumolino – „Alma De Tango“Accord Croises, harmonia mundi
Tango

Aufatmen für Freunde des klassischen Tangos. Hier gibt es keine modischen Experimente, hier geht es um Gefühle und Virtuosität. Tango wie er sein sollte, donnernde Piano-Akkorde, schluchzende Geige, eine ergriffene Sängerin, ein zärtliches Bandoneon. Die Dynamikunterschiede machen diese Musik lebendig. Es ist eine Dramatik wie in Stummfilmen. „Bordoneo Y 900“ erinnert z. B. anfangs an Wellenbewegungen, die dann in einen perkussiven Moment umschlagen. Ursprünglich eine Melodie aus einem Disney-Film, wo eine Katze mit ihrem Schwanz tanzt. Und auf der beiliegenden DVD kann man auch Tänzern zuschauen. Es handelt sich um eine Konzertaufnahme aus Paris und vereinigt die Stars der legendären Pariser Tango-Tanzhalle „Trottoir de Buenos-Aires“.

Nomade Orquestra – „Nomade Orquestra“

„Nomade Orquestra“Far Out Recordings
Brasilien / Brazil Jazz & Funk

Das brasilianische Nomade Orquestra aus São Paulo mäandert zwischen Deep Funk, sehr viel Jazz, Afro-Beat, Soul, aber auch psychedelischen Fuzzguitars, Klanggebilden und leichten orientalischen Einflüssen. In der Art durchaus ähnlich solchen Gruppen wie den Dap Kings, Sugarman 3 oder Quantic passt ihr geschmeidiger, eher sanfter Groove ins Programm von Far Out. Manchmal komplex, manchmal aber auch etwas auf der Stelle tretend, zeigt die Gruppe, dass man nahtlos an den internationalen Rhythmus-Pool anschließen kann. Ein Gastauftritt von Jazzvokalist Bobby McFerrin rundet das Ganze ab.

Paulo Bellinati & Cristina Azuma – „Pingue Pongue“

Paulo Bellinati & Cristina Azuma – „Pingue Pongue“Acoustic Music Records, Rough Trade
Brasilien / Akustische Gitarren-Musik

Wenn von brasilianischen akustischen Gitarristen die Rede ist, heißt es immer, die Ohren spitzen, denn aus Brasilien kommen hochkarätige, technisch brillante Gitarristen. Das Duo Bellinati & Azuma ist nicht nur eine Kombination zweier Geschlechter, sondern auch zweier unterschiedlicher Gitarren: eine Stahlsaitengitarre von 1935 (Bellinati) und eine klassische Gitarre (Azuma). Bellinati hat hörbare Einflüsse aus dem Choro und Azuma aus der Barockmusik. Zwar sind die beiden nicht ganz so spektakulär wie die letzte große brasilianische Entdeckung des Labels, Yamandú Costa, dennoch wird das Duo nicht nur Gitarren-Afficionados zufrieden stellen. Es nutzt die Klangmöglichkeiten zweier Gitarren intelligent aus und weiß in melancholischen Stücken genauso zu überzeugen wie in fröhlich-tänzelnden. Gleich zu Beginn wird hoch im Bund mit einem Tempo gespielt, dass man glauben könnte, hier wurde die Laufgeschwindigkeit angehoben. Auch gibt es öfter perkussive Einlagen. Das Titelstück, geräuschmäßige Imitation eines Tischtennisspiels, das allmählich in schnellem Spielfluss mündet, ragt jedoch eindeutig hervor.

Ema Yazurlo & Quilombo Sonoro – „Ema Yazurlo & Quilombo Sonoro“

„Ema Yazurlo & Quilombo Sonoro“Agualoca Records, Indigo
Argentinien / Tropical

In den Siebzigern verbanden lateinamerikanische Liedermacher traditionelle Klängen meist der Andenfolklore mit Protestsongs. Heute stammen die Songwriter manchmal eher aus der Rockszene, bedienen sich zwar vieler traditioneller Instrumente und Rhythmen, legen ihre Musik aber mehr auf Tanzbarkeit an. Ema Yazurlo ist Sänger und Charango-Spieler aus Argentinien, war Leadsänger der Latinrock-Band La Zurda und spielt auf seinem ersten Solo-Album eine Mischung seiner bekannten Songs und neuerer Stücke. Es sind fröhliche Melodien zum Mitsingen, oft versetzt mit Akkordeon, Snaredrum und Charango. Stilistisch ist das eine Art lateinamerikanischer Folkpop mit Anleihen von Flamenco-Pop bis Cumbia, von Reggae bis Mestizo, wobei er zum Glück nicht völlig auf knalligem Partysound, sondern eher auf eingängige Melodien setzt. Sein „Sonido Del Mundo“ hat sogar Hitpotential.

Mil Santos – „El Día“

Mil Santos – „El Día“

Flowfish Records, Broken Silence
Kolumbien / Salsa

Der in Berlin lebende Sänger und Gitarrist Mil Santos zeigt, wie in seiner Heimat Kolumbien Salsa am Kochen ist. Er hat eine klare, beseelte Stimme und weiß schon im ersten Titel, wie man den Tod zum Tanzen bringt. Die Machart ist sich recht ähnlich und erst im letzten Stück wagt er, etwas damit zu variieren.

Chucho Valdés – „Tribute To Irakere – Live In Marciac“

Chucho Valdés – „Tribute To Irakere – Live In Marciac“Jazz Village, harmonia mundi
Kuba / Latin Jazz

Der kubanische Pianist Chucho Valdés gründete einst die legendäre kubanische Band Irakere, aus der Ikonen des Latin Jazz wie Arturo Sandoval oder Paquito D’Rivera hervorgingen. Nun ließ er die Erinnerung an die um 2000 aufgelöste Band in einem Konzert wieder aufleben. Valdés präsentiert alte Irakere-Stücke wie „Juana 1600“, aber auch eigene wie „Afro-Comanche“. Typisch wie eh und je ist das hochexplosive Spiel seiner Band, atemberaubende Läufe und Bläsersätze, die den Zuhörer schwindelig machen, sind selbstverständlich. Insgesamt dominieren neben Valdés‘ rasantem Klavierspiel vor allem längere Teile mit afrokubanischen Rhythmen und Gesängen. Hinzu kommen die vielfältigen stilistischen Übergriffe. Da wird ein Tango in einer Trommelorgie aufgelöst und in ein Swing-Bad getauscht. Hier Klassik-Einlagen, dort Funk und zum Schluss auch mal ein Zitat aus Dave Brubecks „Take Five“. Manchmal beschleicht einen das Gefühl, Valdés geht es vornehmlich um spontane Improvisationsideen. Dabei spielt vielleicht gar keine Rolle, was die Band gerade spielt. Er macht es passend, Hauptsache es kann raus aus ihm. Und was er dabei abliefert, macht den Eindruck, dass dem 74-Jährigen keiner bislang das Wasser reichen kann.

Alfredo Rodriguez – „Tocororo“

Alfredo Rodriguez – „Tocororo“Mack Avenue, in-akustik
Kuba / Latin Jazz

Mit präpariertem Klavier und ohne Schlagzeug steigt der kubanische Pianist Alfredo Rodriguez ins Album ein, um dann über die kubanische Melodie loszujazzen und danach wieder in eine gewisse klassische Romantik zu verfallen. Eine Vorkost dessen, was das Konzept des Albums ausmacht: Latin Jazz mit stilistischem Crossover und experimentellem Einschlag. Außerdem liebt Rodriguez dynamisch unterschiedliche Breaks. Klassik trifft hier auf Flamenco oder Jazz, beschwörend klingende Chöre auf Klavier-Improvisationen der Marke Keith Jarrett. Auch ein Calypso schleicht sich ein, trotz dessen süßlichen Melodik das beste Stück wegen einer überzeugenden Improvisation dazu. Dann plötzlich eine Verbindung von Gesang und Trompetensolo mit indischem Einschlag. Oder ein Tango Nuevo. Dies alles klingt nach der stilübergreifenden Spielfreude, die man schon oft und gerade wieder in letzter Zeit von kubanischen Musikern her kennt, die hier aber überlegter abläuft als bei einem Chucho Valdés. Der Unterschied zum Mainstream-Jazz liegt vielleicht darin, dass man dort mal ein Flamenco-Jazz-Album macht, wenn man Verbindungen sucht, während hier gleich viele Stile herbeizitiert werden, ohne sich dabei zu fragen, ob der Hörer dadurch überfordert oder verwirrt sein könnte. Die Spielfreude und Virtuosität hält jedoch alles zusammen. Rodriguez variiert seine Kompositionen nicht allein jazzmäßig, sondern stilistisch, atmosphärisch und tempomäßig und geht damit einen eigenen Weg, in dem Jazz nur ein Teil des Ganzen ist. Hier sollen die Grenzen zu anderen Stilen und Einflüssen verschwinden. Anderen würden die Ansätze für zehn Alben reichen.

Badi Assad – „Hatched“

Badi Assad – „Hatched“o-tone music, Soulfood
Brasilien / Folkpop, MPB

„Hatched“ – ausgebrütet – heißt das neue Album der brasilianischen Sängerin und Gitarristin Badi Assad. Doch was sie da ausgebrütet hat, ist ziemlich entfernt von ihrem bisherigen Image als Gitarrenvirtuosin. Nun hat sie schon seit Längerem sich in Richtung Pop und Alternative Folk orientiert. Diesmal nahm sie vorwiegend Fremdkompositionen von ihr bewunderten Kollegen wie Mumford & Sons, Alt-J oder dem Iren Hozier bis hin zu einem Song aus der Serie „Die Hungerspiele“ auf. Insgesamt kam ein melancholischer, meist englisch gesungener Folkpop dabei heraus, der jedoch relativ belanglos wirkt. Die Gitarre geht fast unter, zu dominant ist das holprige Schlagzeug, das keinen Fluss in den Stücken zulässt. Manche Stücke klingen gar wie eine Unplugged-Fassung von Shakira. Zu viel geht hier nach dem Zwei-Akkorde-Schema. Kaum aber wird es mal brasilianisch bzw. spielt sie eine eigene Komposition, flackert wieder ihre alte Stärke auf. Das Album wird von Assads Gesang bestimmt, der gegen Ende des Albums etwas an Intensität gewinnt, aber insgesamt kann sie mehr.

Cristina Braga & Brandenburger Symphoniker – „Whisper“

Cristina Braga & Brandenburger Symphoniker – „Whisper“Enja Records
Brasilien / Bossa Nova

Auch eine andere Brasilianerin geht eigene Wege. Die Sängerin und Harfenistin Cristina Braga kommt aus der Klassik und ist stimmlich der Bossa Nova zuzurechnen. Warum also nicht beides zusammenlegen? Bossa Nova in schwelgerischen Orchesterbegleitungen haben die Brasilianer schon immer geliebt, man denke an Alben von Antonio Carlos Jobim oder das Sinatra-Album mit Claus Ogerman. Geschmackvoll ist dieses mit großem Aufwand eingespielte Album durchaus, neue Impulse bietet es nicht. Verwunderlich ist sogar fast, dass man eine gewisse Erwartungshaltung haben könnte, dass Braga auch mal ihr Können an der Harfe größer einbringt, da glänzen ihre Kollegen aus dem Orchester mit jazzigen Improvisationen viel umfangreicher. Zudem gibt es Momente, wenn Harfe und Vibraphon den Klang bestimmen, die so voller Lyrik sind, dass man das Gefühl hat, allein dies und Bragas Stimme hätten genügt. Und so ist das mit Bragas sirenenhaftem Gesang versehene, einfache und sehnsüchtige „Whisper On A Prelude“ auch der Höhepunkt des Albums. Zum Dahinschweben zwar bestens geeignet, aber noch viel weniger wäre mehr gewesen.

Zélia Fonseca – „O Terceiro Olho Da Abelha“

Zélia Fonseca – „O Terceiro Olho Da Abelha“Yellowbird, Enja Records
Brasilien, Deutschland / MPB

Nach fünf Jahren mal was Neues von der in Deutschland lebenden, brasilianischen Sängerin und Gitarristin Zélia Fonseca, die einst Teil des Duos Rosanna & Zélia war. Sie klingt darauf nicht typisch brasilianisch, mal abgesehen von der Sprache, aber sie kommt auch aus Minas Gerais, wo schon immer die Musik etwas anders klang als man es von den Klischees brasilianischer Musik her erwarten mag. Fonsecas Musik ist sanft, nachdenklich und in einem wolkigen Klang dahinfließend. Kein Bossa Nova oder Jazz und mehr dem Singer/Songwritertum als der MPB zuzuordnen. Aber genau diese Richtung erlebt in Brasilien gerade etwas Aufmerksamkeit und wer genau hinhört, entdeckt dennoch viel Verwurzelung in brasilianischer Musik. Fonsecas Arrangements sind unkonventionell, mit Flügelhorn, Kinderchor, Cello oder sanfter Perkussion untermalt. Ein Album für besinnliche Stunden.

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Hans-Jürgen Lenhart schreibt als regelmäßiger Gastautor für das deutsche Lateinamerika-Magazin Latin-Mag. Er ist Musikjournalist und seit über 20 Jahren Experte für Latin Music. In der Artikelserie Latin Music News berichtet er alle zwei Monate über Neuerscheinungen in der lateinamerikanischen Musikszene.

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