In den Latin Music News sind diesmal erstaunlich viele Frauen dabei und eine davon ist auch endlich mal wieder ein Highlight aus Brasilien. Deshalb heißt es jetzt Ladies first oder „as damas primeiro“ wie der Portugiese sagt.
Dani Gurgel – „Tuqti“
Berthold Records, Cargo
Brazil Jazz
Die brasilianische Sängerin Dani Gurgel hat auf ihrem Album eigentlich eine neue Art des Scattens erfunden. Temporeichtum und Virtuosität, aber vor allem eine eigene, auf dem Portugiesischen aufbauende Lautmalerei prägt ihren Gesangsstil. Sie benutzt komplizierte Lautworte wie „co co co carìre, ke ke ke kerure“, die ganz anders wirken als die üblichen, englischbasierten Vokalismen. Gurgel hat ein wahnsinniges Rhythmusgefühl, wirkt in den ersten Titeln nahezu stürmisch und nutzt auch bei den textgebundenen Songs eine kurzsilbige Wortwahl, die sich gut rhythmisch vortragen lässt. So faszinierend die ersten drei Stücke in diesem Sinne sind, besteht dabei die Gefahr, dass sie zu ähnlich wirken. Dies behebt Gurgel aber rechtzeitig, indem sie dann durch ruhigere Stücke wie das lyrische „Remanso“ oder mehr Anteile ihrer Begleitband umschaltet und nicht ausschließlich auf virtuosen Scat setzt, was ja auch manchmal wie beim brasilianischen Kollegen Filo Machado zur Überdosis werden kann. Das sphärische Zwischenspiel der kanadischen Gast-Trompeterin Ingrid Jensen im Stück „Voou“ mag da als ausgleichendes Beispiel dienen. Und in „Conselho De Irmão“ zeigt Gurgel, dass auch einprägsame, fröhliche Melodien ihr Ding sind. Hier singt sie mit sich selbst. Zum Schluss zeigt sie, dass sie auch in vorbildlicher Weise Unisono mit dem Gitarristen singen kann. Conrado Goys ist ein E-Gitarrist voller Feinheiten, der klanglich manchmal in Richtung Pat Metheny geht, und mit Thiago Rabello hat Gurgel zudem einen ausgezeichneten Drummer. Dani Gurgel als neues brasilianisches Stimmphänomen zu bezeichnen, ist nicht übertrieben.
Nora Buschmann – „Ritmos Do Brasil“
Acoustic Music, Rough Trade
Deutschland / Klassische, brasilianische Gitarrenmusik
Nora Buschmann spielt ebenso brasilianische Musik, allerdings auf der akustischen Gitarre und sie ist Dozentin an mehreren deutschen Musikhochschulen. Sie beginnt leidenschaftlich, mit berührender Melodik und sauberem Spiel. Gerade die Kompositionen des hier oft gewählten Heitor Villa-Lobos zeigen den spieltechnischen Anspruch der brasilianischen Instrumental-Musik, die bei uns ja gar nicht so bekannt ist. Andere Stücke sind von Baden Powell oder auch das berühmte „Felicidade“ von Tom Jobim, das sie sanfter und ohne Überbetonungen spielt. Zum Schluss gesellt sich noch zweimal der argentinische Gitarrist Ricardo Moyano hinzu, während Buschmann auf die Oktavgitarre wechselt.
Las Hermanas Caronni – „Santa Plástica“
Les Grands Fleuves, Broken Silence
Argentinien, Frankreich / Kammermusik, Latin
Die argentinischen Zwillingsschwestern Gianna und Laura Caronni haben sich mit ihren nicht alltäglichen Instrumenten Klarinette und Cello sowie ihrer ungewöhnlichen Mischung aus lateinamerikanischer Folklore, impressionistischer Klassik und fast meditativen Klängen in den letzten Jahren einen großen Namen erarbeitet. Man durfte daher auf ihre neue Veröffentlichung gespannt sein. Zunächst mal haben sie ihren musikalischen Kosmos mit einigen Gastmusikern ergänzt. Das kann man als Auflockerung akzeptieren, notwendig wäre es indes nicht unbedingt gewesen. Der französische Jazztrompeter Erik Truffaz mag zwar aufgrund seiner Bekanntheit einige Hörer aus seinem Stil neugierig machen, der Trompetenklang wirkt aber zu scharf für die sanfte Musik der Caronnis. In den ruhigen Stücken wie „Buena De Mas“ voller langgezogener Töne, die wie langsame Schritte wirken, haben die beiden eine eigene Aura, die sich selbst genügt und keine weiteren Zutaten braucht. Dies gilt auch für die Beiträge des französischen Sängers Pier Faccini. Aber es gibt ebenso einige überraschend fröhliche Stücke wie „Coucou“, das wie eine Vertonung eines Kinderliedes um den Kuckuck wirkt, aber mit etlichen wilden Momenten und „Gezwitscher“ mit Abstand am originellsten von allen Tracks daherkommt. In diese Richtung geht auch „L’estey“, das an einen brasilianischen Baião erinnert. Das arabisch wirkende „Partir“ zitiert wiederum die Rhythmik von Zugfahrten sowie die wechselnden Klänge, die man dabei erleben kann. Überhaupt überwiegen diesmal rhythmische Stücke. Auch wenn die überzeugenderen Songs eher zum Schluss kommen, bestätigt das Album den Ausnahmecharakter dieses in Bordeaux lebenden Geschwister-Duos.
La Yegros – „Suelta“
X-Ray-Production, Broken Silence
Argentinien / Electro Tropical
Die argentinische Sängerin La Yegros verbindet argentinische Stile wie Chamamé und Milonga sowie kolumbianische Cumbia und den von Flöten geprägten Andenfolk mit elektronischen Elementen und Rap. Sie schafft es, dass diese Mischung zwar radiotauglich, aber nicht zu stylish wirkt, wenngleich die Rhythmik für den internationalen Dancefloor etwas zu ungewohnt sein dürfte. Herausragend ist „Cuando“, das letzte Stück des Albums, mit reiner Streicherbegleitung.
Alfredo Rodriguez, Pedrito Martinez – „Duologue“
Mack Avenue Records, in-akustik
USA / Cuban Jazz
Normalerweise ist man es bei kubanischer Musik gewohnt, dass mindestens sechs Leute spielen, auf diesem Album sind es nur zwei. Dennoch vermisst man nichts bei dem kleinen Orchester. Pianist Alfredo Rodriguez kombiniert Klavier, E-Piano und Fender Rhodes, Perkussionist Pedrito Martinez Schlagzeug mit Trommeln, teils im Overdub-Verfahren. Dazu kommt ein sehr dichter Chorgesang. In Unterschied zu Latin Jazzern der Irakere-Schule spielen hier Melodie und Gesang eine ausschlaggebendere Rolle. So versucht man sich sogar an Michael Jacksons „Thriller“. Hier hält sich alles gut die Waage, kubanische Lieder und Jazzimprovisationen sowie das unterschiedliche Instrumentarium. Beide Musiker haben eine gleichberechtigte Rolle inne. Rodriguez erinnert manchmal an Chick Corea, der Gesang lässt Flamenco oder Latin Pop anklingen. Knackig, akzentuiert und witzig sind die Arrangements, besonders in „Super Mario Bros 3“. Zum Gelingen beigetragen hat da wohl sehr die erfahrene Hand von Produzent und Altjazzer Quincy Jones.
Guts – „Philantropiques“
Heavenly Sweetness, Broken Silence
Frankreich / Afro-Karibik-Crossover
In letzter Zeit erreicht uns verstärkt Musik, die sich einer eindeutigen Verortung entzieht und dennoch lateinamerikanischen Hintergrund hat. Der französische Produzent Guts nennt seine Musik „Afro-Tropical“. Afrikanische Popmusik ist hier der Ausgangspunkt, insbesondere angolanische und nigerianische Stile klingen an. „Tropical“ ist dagegen ein Begriff, der die Mixturen moderner lateinamerikanischer, speziell karibischer Tanzmusik beschreibt, insbesondere Salsa, Merengue, Vallenato, Cumbia oder Bachata. Davon ist hier weniger zu merken. Zwar gibt es Anklänge an Calypso oder die Sounds aktueller brasilianischer Jazzgruppen, besser passt Guts‘ Projekt aber in den auch etwas schwammigen Begriff Latin Urban Music. Bands wie Quantic oder Spam Allstars könnte man hier nennen. Aber die Fans wird all das weniger interessieren, denn die Musik groovt vor allem gut und zeigt die innere Verbundenheit der Musik Lateinamerikas und Afrikas. Abgesehen davon, dass alles recht tanzbar ist, gibt es viele weitere Zutaten. „Philantropiques“ tendiert an manchen Stellen Richtung Jazz und Funk mit ausgedehnten Soli und schönem Einsatz von Querflöte und Keyboards. Manchmal klingt aber auch französischer Pop an, wie überhaupt meist Französisch oder Portugiesisch gesungen wird. Es gibt immer mal ein paar elektronische Effekte sowie einen, wenn auch verzichtbaren Disco-Titel. Es ist eine gutgelaunte Musik, die so gar nichts von der Hip Hop-Verbundenheit ihres Produzenten verrät.
Xixa – „The Code EP“
Glitterhouse Rec., Indigo
USA / Gothic Cumbia Desert Rock
2016 präsentierte die Band Xixa mit ihrem Album „Bloodline“ eine bemerkenswert alternative Auffassung davon, wie man Cumbia bzw. Chicha spielen kann: vermischt mit psychedelisch-düsterem Desert Rock. Jetzt gibt es mit der EP „The Code“ mit vier neuen Titeln wieder ein Lebenszeichen. Keine Selbstverständlichkeit bei den vielfältigen Projekten von Frontman Brian Lopez. Die Gruppe aus Tucson/Arizona ist bei ihrem Sound geblieben. Gabriel Sullivans rauchig-hauchige Geisterstimme auf der einen Seite trifft auf quiekende Elektrosounds, die monochromen Gitarrenklänge der staubigen Wüste auf das bunte Treiben des mexikanischen Totenfestes, Ennio Morricone auf Chicha-Rhythmen. Dazu noch eine Art Gaunerballade in „Osiris“ mit Brian Lopez‘ verträumter Stimme und gruseliger Atmosphäre. Innovativ ist das auch weiterhin.