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Caetano Veloso – „Fina Estampa Ao Vivo“

Caetano Veloso – „Fina Estampa Ao Vivo“

Ein Live-Album, das es in unsere Reihe Klassiker-Alben aus Lateinamerika geschafft hat: Caetano Veloso – „Fina Estampa Ao Vivo“.

Caetano Veloso – „Fina Estampa Ao Vivo“Caetano Veloso – „Fina Estampa Ao Vivo“

Verve (Universal Music) / 1995
Brasilien / MPB, Latin

„Wo du Taten willst, bin ich Gedanke / Und wo du Romanzen willst, bin ich Rock and Roll / Wo du den Mond willst, bin ich die Sonne / anstatt reiner Natur, Insektenpulver.“ textete Caetano Veloso 1984 im Stück „O Quereres“. Treffender kann man seine Musik nicht beschreiben. Er erfindet sich immer wieder neu und ist doch unverkennbar. 1994 überraschte er mit dem weitgehend in Spanisch gesungenen Album „Fina Estampa“, dem, wie so oft bei erfolgreichen Alben in Brasilien, 1995 das hier besprochene Live-Album dazu folgte. Veloso sang einerseits Latin-Klassiker, also Boleros, Rumbas, Guarânias und Canções, und andererseits eigene Klassiker. Oberflächlich gesehen macht er auf beiden Alben den Crooner mit Streichern, aber was für ein Sound. Der Cellist Jaques Morelenbaum zeichnete sich für die Arrangements verantwortlich, inzwischen ist er in Brasilien eine Art Qualitätsstempel. Wer das Ganze für Herzensbrechermusik hält, liegt falsch. Manche Titel sind voller Sozialkritik, aber vor allem gelingt Veloso hier eine Veredelung ohnegleichen. Und im Sinne des obigen Textzitates ist „Fina Estampa Ao Vivo“ auch einer seiner vielen stilistischen Pole. Dass er auch anders kann, bewies er 1973 mit „Araçã Azul“, einer Mischung aus Volksmusik und Geräuschcollagen, damals ein bewusst eingesetzter Misserfolg, um Fans zu zeigen, dass er von niemandem vereinnahmbar ist. Andererseits kann man ihn auch auf den Musikwagen im Karneval von Bahia erleben.

Typisch für Veloso ist seine sanfte und gleichzeitig sehr hohe Stimme, was für spanische Titel eher ungewohnt klingt. Die Musik ist oft voller rhythmisch tänzerischer Streicher mit brummenden Celli, aber auch etlichen Solo-Stücken. Velosos Meisterwerk aber ist „Cucurrucucú Paloma“, wegen dem allein sich der Kauf des Albums lohnt und das auf dem Studio-Album „Fina Estampa“ nicht vorhanden ist. Es ist die betörendste Einspielung, die er je gemacht hat. Im Almodovar-Film „Sprich Mit Ihr“ singt Veloso dieses Lied in einer kleinen Gesellschaft und Almodovar zeigt den Hauptdarsteller, wie ihm dabei die Tränen über die Wange laufen. Eine perfekte Vermittlung der Stimmung des Liedes. „Cucurrucucú Paloma“ ist zudem ein Musterbeispiel für das Konzept „Weniger ist mehr“. Die Streicher spielen nur zwei Töne im gleichen Abstand, hin und her, hoch und tief, wie langsame Schritte. Es entsteht eine feierlich-düstere Atmosphäre. Veloso beweist, dass mit diesem ungewöhnlichem Arrangement jeder Staub von diesem Lied fällt: kein Kitsch, sondern große Kunst.

Danach folgt „Haiti“, ein langsamer Rap, den Veloso mittendrin in seine typische romantische Art aufgelöst. In der Mitte des Albums hört man Veloso nur mit akustischer Gitarre sich begleitend, sinnlich, nachdenklich und verloren. Musik, die jede Hektik vermissen lässt. Der Walzer „Lábios Que Beijei“ erinnert dann an die Musik des Fellini-Komponisten Nino Rota, der von Veloso sehr verehrt wird. In „O Pulsar“ zeigt Veloso dann plötzlich sein „Insektengift“: einzelne Töne werden gespielt, einzelne Silben gesungen, ungewöhnliche Pausen gemacht. Da blitzt der Avantgardist durch. Das Stück hat er mit Augusto de Campos geschrieben, ein konkreter Poet aus Brasilien, vergleichbar mit Ernst Jandl bei uns. Das wirkt überraschend in dem höchst emotionalen Album. Man stelle sich nur mal vor, unser Reinhard May wurde mitten in einem Konzert ein Stück von Stockhausen zitieren.

Veloso wollte hier ein pan-lateinamerikanisches Album machen, was übrigens auch die Wandmalerei bei seiner Show (siehe Booklet) ausdrückte. Gegen Ende kommt als weiterer Höhepunkt „Soy Loco Por Ti, America“ von Wegbegleiter Gilberto Gil, ein toller dynamischer Rumba. Die Bläser und Trommelschläge wirken hier wie Peitschenschläge. „Ich bin verrückt nach dir, Amerika“.

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Hans-Jürgen Lenhart schreibt als regelmäßiger Gastautor für das deutsche Lateinamerika-Magazin Latin-Mag. Er ist Musikjournalist und seit über 20 Jahren Experte für Latin Music. In der Artikelserie Latin Music News berichtet er alle zwei Monate über Neuerscheinungen in der lateinamerikanischen Musikszene.

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