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Klassiker-Alben aus Lateinamerika: João Bosco – „Acústico MTV“

João Bosco – Acústico MTV

Mit dem akustischen Album „Acústico MTV“ von João Bosco wird heute ein weiteres Klassiker-Album aus der lateinamerikanischen Musikszene vorgestellt.

João Bosco – Acústico MTVJoão Bosco – „Acústico MTV“

Columbia, Sony Music / 1992
Brasilien / MPB

Den brasilianischen Sänger und Gitarristen João Bosco muss man live erleben. Entsprechend sind seine Konzertalben auch um einiges genialer als seine Studioaufnahmen. Da gilt voller körperlicher Einsatz. Bosco wirkt wie ein Perkussionist mit Gitarre und Stimme. Er präsentiert eine Mischung aus „Mouth-Percussion“, vibrierend rhythmischem Spiel und textlosem Gesang. Auf der Gitarre flitzt er in irrsinniger Geschwindigkeit umher, stoppt unvermittelt, trommelt auf den Saiten besser als jede Beatbox. Aber er kann auch sehr melancholisch spielen. Anders als seine MPB-Kollegen Gilberto Gil oder Jorge Ben will er nicht ausdrücklich Tanzmusik spielen oder Hits produzieren, er improvisiert in seinen Stücken viel und ist dadurch dem Jazz sehr nahe, bleibt aber der MPB verhaftet. „Acústico MTV“ ist nun so ein Live-Album, das genau den richtigen Moment eingefangen hat. (Sehr zu empfehlen aber auch sein Album „Ao Vivo“ aus dem Jahr 1983.) Boscos Stimme ist sehr ausdrucksvoll und präsent, fast als würde er beim Singen Grimassieren und manchmal singt er ausgesprochen hoch, flüstert oder pflegt einen Sprechgesang zu hypnotischen Akkorden. Eines seiner Meisterwerke ist „Quilombo“ mit einer monotonen Melodie und einem Gesang, der auf afrokubanische Rhythmen Bezug nimmt. Die wenigen Worte des Textes wiederholt Bosco ständig mit einigen ausgetauschten Buchstaben, wobei sich ein geschickter Bedeutungsunterschied ergibt, der in symbolhaften Begriffen eine Geschichte erzählt. Es ist nicht verkehrt, dabei von einem Stück Konkreter Poesie zu sprechen, wie wir sie bei uns vielleicht von Ernst Jandl her kennen. Da mag man sich fragen, ob es bei uns jemals experimentelle Lyrik in Popsongs gab? So viel damit zum textlichen Niveau von Songs in Brasilien und da ist Bosco in der MPB bei Weitem kein Einzelbeispiel. Oft vermengt Bosco auch Titel zu einem Medley. Dazu sagt er: „Ich bereite nichts vor. Ein Lied ruft das andere auf. Solche Medleys entstehen total unerwartet. Sie kommen, weil sie nicht zu stoppen sind.“ An einer Stelle macht er sich so auch „Eleanor Rigby“ von den Beatles völlig zu Eigen. Bis heute ist João Bosco ein Beispiel dafür, dass Tradition, Jazz, Popularmusik und Experiment in Brasilien keine Gegensätze sein müssen. In Brasiliens Musik lernt man eben schnell, Schubladendenken aufzugeben.

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Hans-Jürgen Lenhart schreibt als regelmäßiger Gastautor für das deutsche Lateinamerika-Magazin Latin-Mag. Er ist Musikjournalist und seit über 20 Jahren Experte für Latin Music. In der Artikelserie Latin Music News berichtet er alle zwei Monate über Neuerscheinungen in der lateinamerikanischen Musikszene.

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