Lateinamerikanische Musik gibt es auch anderswo auf der Welt – heute stellen wir das vielseitige Album „Friends & Family“ des türkischen Perkussionisten Ayhan Sicimoglu vor.
Ayhan Sicimoglu – „Friends & Family“
Doublemoon Records, Rough Trade / 2007
Türkei / Latin Music
Eines sollte klar sein: Latin Music wird überall gespielt und vieles davon steht den Produktionen aus Lateinamerika in nichts nach. Manches ist durch die anderen stilistischen Einflüsse besonders reizvoll. Beim Album des türkischen Perkussionisten Ayhan Sicimoglu wird gleich klar, dass Istanbul in der Karibik liegt. Eine derartige Musik hat es wahrlich noch nicht gegeben. Das Album will einen zu Beginn allerdings erst einmal in die Opern-Arena von Verona versetzen. Eine arienhafte Frauenstimme singt zu Streicherklängen eine von Verdi und Puccini beeinflusste Melodie. Kaum hat man sich daran gewöhnt, wird dies von funkigen Bata-Trommeln unterlegt und von spanischen Raps des kolumbianisch-schweizerischen Gast-Rappers Rodrigo Rodriguez abgelöst. Schließlich gesellt sich noch ein Klavier dazu, welches genau auf der Kippe zwischen orientalischer und kubanischer Musik dahin gleitet, bis die Sängerin, Ayhans Tochter Ayse Sicimoglu, zurückkehrt. Noch rätselt man, wo man sich hier eigentlich musikalisch befindet, da tönt im nächsten Titel schon eine Art französisch-sprachiger Charleston aus der Box. Es handelt sich aber um einen Mambo-Shuffle namens „Istanbul pas Constantinople“ und stammt in Wirklichkeit von einem türkischen Sänger mit dem Künstlernamen Dario Moreno, der damit 1955 einen internationalen Hit hatte. Surprise, surprise – so neu ist das also nicht, wir haben es bislang nur ignoriert. Auch „Historia De Un Amor“ ist ein solcher Klassiker, allerdings des Merengue und spätestens hier kann man es kaum fassen, dass hier fast ausschließlich (inklusive spanischem Gesang) türkische Musiker am Werk sind. Ayhan Sicimoglu hat aber bereits in London, New York und Berkeley in Latin-Bands gespielt oder Perkussion studiert. In der Türkei betreut er zwei Latin Radiosendungen und wird dort auch mit seinen Latin Allstars gefeiert. Auf diesem Album aber schießt er den Vogel ab, weil er weit über die Grundidee einer Vorliebe als Türke zur Latin Music hinaus geht und ein komplexes Album mit erstklassischen Ideen und Arrangements aufgenommen hat. Wie selbstverständlich laufen z. B. in „Latin Passport“ ein Reggae-Rhythmus auf der Gitarre und ein Rumba-Klavier parallel. Und ein Stück namens „Güle Güle“ entpuppt sich nicht als türkischer Popsong, sondern als afrikanischer Zouk, der mit kräftigen brasilianischen Sambatrommeln unterlegt ist. Bei Ayhan Sicimoglu kommen also nur die besten Gewürze und Zutaten hinein. Höhepunkt des Albums aber ist der „Raggaeturkaton“, was ein neuer türkisch-puertoricanischer Stil werden könnte. Wir hören zu Beginn den O-Ton einer türkischen TV-Soap Opera. Dann klopft der Raggaeton-Breakbeat an und es fiept eine orientalische Melodie dazu. Die Raps handeln von einem armen türkischen Mädchen aus Deutschland, welches sich in einen glutäugigen Latin Lover verliebt, wogegen ihre stockkonservative Familie etwas hat und schon die Messer wetzt. Rapper Rodriguez wollte aber kein so blutrünstiges Ende singen und bat um einen versöhnlichen Schluss. Da stimmen wir gerne zu. Love, Peace and Understanding also und ein Geheimtipp mehr.