In Zeiten von Pandemie und Krieg wird anscheindend etwas weniger lateinamerikanische Musik veröffentlicht, die Leute haben sicherlich andere Dinge im Kopf. Ein paar neue Kompositionen zur Ablenkung haben wir dennoch für euch:
Die passende Radioshow von DJ Hans findet ihr auf Mixcloud oder direkt hier:
Dudu Lima ft. João Bosco – „O Ronco da Cuica/ Imcompatibilidade De Gênios (12“ Vinyl)“
Far Out Recordings
Brasilien / Jazz, MPB
So hat man João Bosco schon lange nicht mehr gehört. Eine ungewöhnliche EP erscheint im April vom brasilianischen Bassisten Dudu Lima, mit zwei Kompositionen und unter Beteiligung von João Bosco. Dieser spielte und sang schon immer auf der Kante zwischen MPB, Samba und Jazz, wobei hier wirkliche Neufassungen zwei seiner bekanntesten Stücke als längere Jazznummern entstanden sind. Die EP ist eine Auskopplung von Dudu Limas CD/DVD „Ouro de Minas 2-Gran Circo“. „O Ronco da Cuica“ beginnt mit Perkussion von Azymuth-Schlagzeuger Ivan ‚Mamão‘ Conti und Perkussionist Marcos Suzano und die Melodie erklingt erst recht spät. Trotz des Titels enthält diese Version keine Cuíca, stattdessen verwandelt sich die Dynamik des Originals in eine Art Auslotung des Jazzpotentials der Nummer. „Imcompatibilidade De Gênios“, ebenfalls von Boscos „Galos De Briga“-Album von 1976 ist ein bemerkenswertes Duett zwischen Akustikgitarre/Gesang und Fretless Bass. Gerade für Bosco-Fans eine Gelegenheit, den Meister einmal mit seiner Jazzader wahrzunehmen.
Joyce – „Feminina / Interview with Joe Davis (12“ Vinyl)
“
Far Out Recordings
Brasilien / Jazz, MPB
Musikalisch João Bosco durchaus artverwandt wirkt diese EP von „Feminina“ der brasilianischen Sängerin Joyce aus dem Jahr 1977: Ein temporeicher Samba mit Jazzimprovisationen, mit elf Minuten fast etwas zu gestreckt. Bezüglich der Besetzungsliste darf man vermuten, dass ihr Label Odeon damals durchaus in sie investierte: Produziert, arrangiert und dirigiert wurde die Aufnahme von Claus Ogerman, der einst Frank Sinatra und Antonio Carlos Jobim mit brasilianischen Songs zum Durchbruch verhalf. Auch weitere Größen wie Mauricio Maestro, Nana Vasconcelos, Joe Farrell, Michael Brecker und Mike Manieri spielen hier mit. Es wurde dennoch nichts draus: Das dazugehörige Album „Natureza“ wurde nie veröffentlicht. Dies soll in naher Zukunft bei Far Out nachgeholt werden, was man mit Spannung erwarten kann. Joyce war hier in bester Form. Für Interessierte ist ein Interview zum Song auf der B-Seite mit Far Out-Labelchef Joe Davis zu hören.
Gina Schwarz / Angelo da Silva – „Fusão“
Galileo MC
Österreich, Brasilien / Jazz
Sehr dicht kommunizieren auf „Fusão“ die österreichische Bassistin Gina Schwarz und der brasilianische Gitarrist Angelo da Silva, der seit zehn Jahren in Österreich lebt. Hier geht es weniger um Temporekorde von Saitenmeistern als um Intensität und Atmosphäre. Eine musikalische Reise, die neben Brasilien auch Italien, Spanien oder Österreich mit einbezieht und Melancholie wie quirlige Energie bietet.
Orkesta Mendoza – „Curandero“
Glitterbeat, Indigo
USA / Cumbia, Tex Mex, Boogaloo, Rock ’n’ Roll
Eine der wenigen Latin-Bands, die sich in immer noch Corona-Zeiten nach Deutschland verirren, ist das Orkesta Mendoza, eine amerikanische Band aus dem Grenzgebiet USA und Mexiko, die inzwischen eine Mischung aus Cumbia, Tex Mex, Boogaloo, Rock ’n’ Roll spielt. (Am 25.05.2022 kommt sie z. B. in den Offenbacher Hafen 2.) Offenbar will es die Band jetzt wissen. Insgesamt klingt ihr Sound poppiger und im Vergleich zu südamerikanischen Cumbia-Bands weicher und flüssiger, andererseits hat man sich etliche Gäste eingeladen, was ja immer auf einen größeren Verbreitungseffekt schielt. Da ist z. B. auf „Boogaloo Arizona“ Amparo Sanchez, die Sängerin der spanischen Mestizoband Amparanoia, zu hören oder Calexicos Joey Burns in „No Te Esperaba“. Manches gerät zu einer Art Cumbia-Pop wie „Are We Better“, bei anderen Stücken gibt es einen starken Retro-Touch. So erinnert „Bora Bora“ an die frühen Sechziger und die damaligen Instrumentalbands. „Head Above Water“ hat sogar etwas von einem Sommerhit. Die einst als moderne Mambo-Band angekündigte Gruppe hat ihren Latin-Mix sehr kommerzialisiert. Nicht die Rhythmik, sondern die sphärischen Keyboardsounds und die Melodien bestimmen den Eindruck. Es ist eine fröhlich-unbedarft klingende Musik. Mendoza erinnerte kürzlich dazu an den einstigen Boogaloo-Star Joe Cuba: „Boogaloo hatte wie wir Texte in Englisch, Spanisch und Spanglish. Joe Cuba mischte lateinamerikanische Rhythmen, Soul und R&B zusammen und machte etwas Neues daraus.“ Und so gibt Mendoza solchen alten Sounds jetzt wiederum mit neuen Zutaten einen modernen Anstrich mit Popgesang und Rap-Einlagen.