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Alben

Latin Music News #53

Carlinhos Brown – „Pop Xirê“

Es gibt wieder eine neue Ausgabe der Latin Music News:

Die passende Radioshow von DJ Hans findet ihr auf Mixcloud oder direkt hier:

Carlinhos Brown – „Pop Xirê“

Carlinhos Brown – „Pop Xirê“Candyall Music
Brasilien / MPB, Sambareggae

Wenn man sich derzeit auf einen der brasilianischen Superstars verlassen kann, nicht nur neue, sondern auch mitreißende Alben zu machen, dann ist es Carlinhos Brown. Sein Album Pop Xirê
wirkt fast wie ein Dutzend Nachfolgehits auf seinen Karnevalsknaller „Mariacaipirinha“ und ist eine Besinnung auf seine Wurzeln im Sambareggae. Diese temporeiche Dynamik macht ihm keiner so schnell nach. Volle Power und eine Musik, die Freude und Energie ausstrahlt, vielleicht auch, weil man in Brasilien endlich wieder Grund zum Feiern hat: Die Pandemie ist zurückgegangen, der unsägliche Präsident Bolsonaro abgewählt. Auffallend sind die permanent treibenden Trommeln, der Ruf-Antwort-Chor, sehr eingängige Mitsingmelodien, ein bedingungsloser, meist wahnsinnig schneller Tanzrhythmus, verbunden mit einigen elektronischen Sounds. Das ist jetzt schon das Partyalbum des Jahres. Nur wenige Balladen sind darauf, aber die betonen lediglich mehr die Melodie als den Rhythmus. Faszinierend, wie Brown immer wieder die Dynamik anfeuert. Dann gibt es ein kurzes, knatterndes Trommelfeuer und der Song geht richtig los. Unmöglich, sich dem zu entziehen. Höhepunkt ist „Rei Timbau“. Unglaublich wie Brown hier mit seinem perkussiven Gesang das Stück von der ersten Sekunde her antreibt.

Aber ist die Bolsonaro-Zeit wirklich vorbei? Für den schon immer gesellschaftskritischen Karneval in Rio offenbar schon. Dort wagte man nun einen Schritt, der den rechtsnationalen Gegnern der Sambaschulen überhaupt nicht gefallen dürfte. Schwul, schwarz, arm und ein Analphabet aus dem Nordosten, so ist der erste schwule Fahnenträger des Karnevals in Rio: Anderson Morango. Der Fahnenträger ist eine der symbolträchtigsten Figuren des Zuges. Morango sagte dazu: „An Karneval, sagt man, ziehen sich die Menschen eine Maske auf. Ich lege sie ab und zeige, wer ich wirklich bin.“ So kann es auch gehen.

Alex Kroll & Martin Müller – „Strings Ahead“

Alex Kroll & Martin Müller – „Strings Ahead“Galileo
Deutschland / Gitarrenmusik

Zur Beruhigung nach dem Karneval könnte man das Album von Alex Kroll (E-Gitarre) und Martin Müller (Nylongitarre) einlegen. Die beiden verknüpfen nicht nur elektrische und akustische Klänge, Nord- und Südamerika, sondern auch brasilianische Gitarrenmusik und Jazz in einer stimmigen Begegnung. Schön, dass es Gitarristen gibt, die damit brasilianische Könner wie Luis Bonfa oder Egberto Gismonti vor dem Vergessen bewahren.

Adriana Calcanhotto – „Errante“

Adriana Calcanhotto – „Errante“Modern Recordings, BMG
Brasilien / MBP

Inzwischen dürfte Adriana Calcanhotto bei uns etwas bekannter sein. Die brasilianische Sängerin war letztes Jahr hierzulande auf Tournee. In Brasilien zählt sie schon lange zu den erfolgreichen Musikerinnen, hat seit den frühen 1990ern über 20 Alben veröffentlicht. Vielleicht liegt ihr Erfolg daran, dass sie sich unverstellt gibt und sich keinen modischen Tendenzen zu unterwerfen scheint. Ihre Stimme wirkt sehr klar, manchmal etwas brüchig und insofern nicht nach Lounge-Bar wie bei etlichen ihrer jüngeren Kolleginnen. Bei „Era Issa O Amor“ klingt es sogar rockig mit verzerrter Gitarre. Ansonsten hat sie ruhige, eigenwillige und kunstvolle Arrangements, bei denen insbesondere der Kontrabass von Alberto Continentino dominiert, auch mal wie bei „Recicências“ ein Wirbel mit dem Schlagzeugbesen den Rhythmus bildet oder eine verhallte Querflöte eine besinnliche Atmosphäre erzeugt. Die 57-Jährige ist eine längst fällige Entdeckung. Das Album erscheint am 31. März 2023.

João Donato E Donatinho – „Sintetizamor“

João Donato E Donatinho – „Sintetizamor“Far Out Recordings
Brasilien / Funk, Disco

Beim Reinhören kommt man nicht unbedingt darauf, dass es sich hier um ein Album von Brasiliens 82-jährigem Altmeister João Donato handelt. Er hat sich eine Verjüngungskur durch seinen Sohn Donatinho verpassen lassen. Lediglich Synthesizer und Fender Rhodes kamen zum Einsatz. Hier und dort Vocoder-Gesang oder Syndrums, alles flott in einem Old-School-Disco-Sound mit einem Schuss Funkadelic. Auf die Dauer zwar ein bisschen gleichförmig, macht aber in der Überzogenheit seiner Mittel Spaß. Ehrlicherweise ist das Album eher ein Dancefloor-Pop-Album von Donatinho und der Beitrag seines Vaters als Karriereanschub gedacht. Eigentlich gibt es nur einen Titel, bei dem man Donato klar heraushört. Es war ursprünglich 2017 veröffentlicht worden, limitiert und auf Brasilien beschränkt.

Mit diesem Album könnte Altmeister João Donato eventuell noch mal Geld verdienen. Wer glaubt, mit dem Mittel des Streamens geht das für MusikerInnen am besten, der könnte sich allerdings täuschen.

Bad Bunny – „Un Verano Sin Ti“

Bad Bunny – „Un Verano Sin Ti“Rimas
Puerto Rico / Reggaeton

Immerhin war der meistgestreamte Künstler der Welt 2022 ein Reggaeton-Sänger, also ein Latin Musiker, und zwar Bad Bunny. Damit schaffte er es in die Forbes-Liste der bestbezahlten Entertainer mit 88 Millionen Dollar Umsatz, jedoch nur auf Platz 10. Ergo lässt sich mit Streaming nicht ganz so viel Umsatz machen wie mit den Verdienstmöglichkeiten der vor ihm Platzierten wie z. B. die alten Mannen von Genesis. Die machten ihren Umsatz hauptsächlich durch Verkäufe der Rechte an ihrer Musik oder gigantische Tourneen. Hört man bei Bad Bunny eine Weile rein, verbreitet sich Langeweile. Immer die gleiche Machart, wenig Abwechslung, höchstens eine leicht künstlich naiv wirkende Stimme. Man braucht scheinbar (musikalisch) nicht viel, um erfolgreich zu sein.

Jane Bunnett and Maqueque – „Playing With Fire“

Jane Bunnett and Maqueque – „Playing With Fire“Linus Entertainment, Alive
Kanada, Kuba / Modern Jazz

Dass aus Kuba viele talentierte Musiker kommen, weiß man, dass es mindestens ebenso viele Musikerinnen gibt, weniger. Die kanadische Sopransaxophonistin Jane Bunnett hat sich Absolventinnen des kubanischen Musikkonservatoriums angenommen und mit ihnen Maqueque gegründet. Inzwischen gehören der Band auch Musikerinnen aus anderen Nationen an wie die Sängerin Joanna Majoko aus Simbabwe, die mit ihrem textlosen Gesang und Unisono-Vocals die Musik eher brasilianisch klingen lässt. Da schwingt zwar ein Hauch Hermeto Pascoal mit, ohne allerdings dessen energetische Hektik zu produzieren. Die Band klingt relativ weich, lässt die kubanischen Anklänge nur dezent zu. Manchmal fühlt man sich gar an Filmmusik erinnert. In den kürzeren Titeln kommt Maqueque eher auf den Punkt, ist melodisch prägnanter. Auf Playing With Fire wird mit dem Feuer gespielt, aber es brennt noch nicht so richtig.

Gilberto Gil – „Em Casa Com Os Gil“

Gilberto Gil – „Em Casa Com Os Gil“Gege Producoes Artísticas
Brasilien / MPB

Dieses Jahr kommt einer der ganz Großen der brasilianischen Musik nach Deutschland, und zwar Gilberto Gil. Aber was macht der inzwischen 80-Jährige inzwischen musikalisch? Er widmet sich seiner Familie und seinem Lebenswerk. Im brasilianischen Fernsehen läuft eine Reality-Serie namens At Home With the Gils über den Alltag der Familie Gil. Diese mag interessant sein, da hier Themen wie Rassismus in Brasilien und Afrokultur in der Gesellschaft diskutiert werden sowie altes Filmmaterial aus Gils Karriere gezeigt wird. Sein neues Album Em Casa Com Os Gil nimmt das auf, wirkt aber eher, als ob nun der berühmte Großvater mit all seinen Kindern und Enkeln als Chor ein Kinderalbum mit all seinen Hits aufgenommen hat. Und das macht das Album des einstmals bedeutsamen Freigeistes der Tropicália-Bewegung recht kitschig.

Gilsons – „Pra Gente Acordar“

Gilsons – „Pra Gente Acordar“Xirê
Brasilien / MPB

Zwei von Gils Söhnen, João und José sowie sein Enkel Francisco “Fran” Gil sind dagegen seit neuestem als das Trio Gilsons erfolgreich. Man hört, von wem sie abstammen, aber sie gehen ihren eigenen Weg mit einer Mischung aus brasilianischer Musik, Pop, Elektronik und Rap. Damit haben sie zuletzt so große Erfolge erzielt, dass da Gilberto Gil selbst nicht mehr herankommt.

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Hans-Jürgen Lenhart schreibt als regelmäßiger Gastautor für das deutsche Lateinamerika-Magazin Latin-Mag. Er ist Musikjournalist und seit über 20 Jahren Experte für Latin Music. In der Artikelserie Latin Music News berichtet er alle zwei Monate über Neuerscheinungen in der lateinamerikanischen Musikszene.

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