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Latin Music News #22 – Neue lateinamerikanische Musik aus aller Welt

Orquesta Akokán – „Orquesta Akokán“

Was gibts es Neues in der lateinamerikanischen Musik-Szene? Zum Start des Frühjahrs rezensiert unser Musik-Experte Hans-Jürgen Lenhart einige Neuerscheinungen, die mal mehr, mal weniger hörenswert sind.

Brenda Navarrete – „Mi Mundo“

Brenda Navarrete – „Mi Mundo“Alma Records, Universal, in-akustik
Kuba / Latin Jazz, Perkussion

Kubanische Musik mal anders: Die Sängerin und Batá-Trommlerin Brenda Navarrete setzt auf Perkussion und chorartigen Gesang, wo andere eher die Trompeten schmettern. Geschickt gelingt es ihr, ein reines Perkussionsalbum zu vermeiden. Gesanglich orientiert sie sich an traditionellen Gesängen, Jazz-Improvisationen und modernen Afropop-Arrangements gleichzeitig. Und sie nimmt andere Instrumente dazu, ohne sich von ihren Kollegen erdrücken zu lassen. Gelungen ist ihr eine weitere, der schier unendlichen Versionen von Duke Ellingtons „Caravan“, das sie hier aber auf die Fassung von Dizzy Gillespie aus seinem legendären Album „Afro“ bezieht. Sie beginnt mit einem recht verqueren Rhythmus, zu dem sich andere Rhythmen hinzu gesellen, bis das wilde kubanische „Caravan“ nach zwei Minuten endlich erkennbar wird. De andere bekannte Klassiker, „Drume Negrita“, wird dagegen als Cool-Jazz-Ballade inszeniert, was aber zu verspielt wirkt und dieser schönen Melodie zu sehr den Zauber nimmt. Insgesamt dürfte man von Brenda Navarrete bestimmt noch hören.

Lio – „Lio Canta Caymmi“

Lio – „Lio Canta Caymmi“Crammed Discs, Indigo (CD), PIAS (digital)
Belgien, Brasilien / MPB

Der 2008 verstorbene Dorival Caymmi ist in Brasilien eine Legende, die Sängerin und Schauspielerin Lio ist dagegen in Belgien sehr erfolgreich. Allerdings wurde sie in Lissabon geboren, was ihre gute Kenntnis der portugiesischen Sprache erklärt. Das Album basiert auf einer Idee ihres Texters Jaques Duvall und den Arrangements des Gitarristen Christoph Vandeputte. Lio selbst hat eine zarte, leicht rauchige Stimme. Der Charakter dieses Albums wird klar, wenn man z. B. Lios Version von „Samba De Minha Terra“ mit der von Gilberto Gil vergleicht. Gegen Gil wirkt Lio ausdrucksloser und fast schon barjazzmäßig. Vielleicht kommen Caymmis Songs so manchem Chanson-verwöhnten Ohren nahe.

Juan Esteban Cuacci & Marcelo Mercadante – „Siempre en la Trinchera“

Juan Esteban Cuacci & Marcelo Mercadante – „Siempre en la Trinchera“Discmedi, MC-Galileo
Argentinien / Tango

„Immer im Graben“ lautet der Titel des Albums des Pianisten Juan Esteban Cuacci mit dem Bandoneon-Virtuosen Marcelo Mercadante. In diesem scheinen sie sich eingenistet zu haben, spielen tango-mäßig ihr Ding, zwar ausdrucksvoll, aber ohne neue Erkenntnisse.

Hector Guerra – „Desde El Infierno“

Hector Guerra – „Desde El Infierno“Kasba Music, MC-Galileo
Mexiko / Latin-Elektro

In Mexiko zählt Hector Guerra zu den seit Jahren erfolgreichsten Musikern des Urban Latin. Wie er einzelne Latin-Stile dabei pimpt, klingt recht kommerziell, aber auch abwechslungsreich, was den wechselnden Sängern zu verdanken ist, mit denen Stil- und Tempiwechsel einhergehen. Das Repertoire bewegt sich zwischen naiven Mitsingmelodien mit piepsigen Synthies bis zu mit Stimmeffekten und Hip Hop durchsetzter Cumbia. Dazwischen hört man mal auch ein paar Feldaufnahmen von Sängern oder Zitate aus einer Trump-Rede. In den 60er Jahren hatte es schon mal eine Elektrifizierung der Latin-Folklore gegeben, jetzt kann man bezüglich des Einsatzes der Electronica von einer Virtualisierung und inhaltlich auch von einer Politisierung sprechen. Die Jugend in Mittelamerika steht jedenfalls darauf.

Hermanos Herrera – „Sones Jarochos y Huastecos y Mas“

Hermanos Herrera – „Sones Jarochos y Huastecos y Mas“Smithsonian, Folkways, MC-Galileo
Mexiko / Son Huasteco, Son Jarocho

Genau das Gegenteil von Guerra repräsentieren die Hermanos Herrera. Sie klingen im ersten Moment aufgrund der dominanten Harfe wie eine Andengruppe, aber sie spielen mexikanischen Son Huasteco und Son Jarocho. Gespielt wird auf Saiteninstrumenten (Veracruz Harp, Huapanguera, Jarana-Gitarre und Huasteca-Violine), die Musik ist recht vibrierend mit schnellem Tempo. Außerdem hört man eine Art Urversion des berühmten „La Bamba“. Ein 40-seitiges Booklet auf Englisch und Spanisch liefert zu jedem Lied interessante Hintergrundinformationen.

Paulo Morello – „Sambop“

Paulo Morello – „Sambop“In & Out Records, in-akustik
Brasilien / Jazz

Der in Regensburg geborene E-Gitarrist Paulo Morello nennt sein neues Album bewusst „Sambop“, weil es tatsächlich die perfekte Symbiose von Jazz mit brasilianischer Musik ist. Zu Samba-Rhythmen hört man seine swingende, warm klingende E-Gitarre im Duett mit der akustischen Gitarre seines Kollegen Lula Galvão. Man spürt in Morellos Spiel Einflüsse von Wes Montgomery und das Repertoire reicht von Duke Ellington bis Dorival Caymmi. Hier swingt und vibriert alles voller Energie, doch auch die Balladen sind gekonnt arrangiert wie ein Choro Cancão von Jacob de Bandolim. Von all seinen Alben hat diese hier die bislang überzeugendste Mixtur.

Sean Khan ft. Hermeto Pascoal – „Palmares Fantasy“

Sean Khan ft. Hermeto Pascoal – „Palmares Fantasy“Far Out Recordings
Brasilien, England / Jazz

Das neue Album des englischen Saxophonisten und Flötisten Sean Khan hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Khan veröffentlicht auf dem auf brasilianische Musiker spezialisierten Label Far Out und hat als Gast eine Ikone des brasilianischen Jazz dabei – Hermeto Pascoal. Einerseits hat die Qualität der Far-Out-Alben zuletzt abgenommen und bot keine großen Überraschungen mehr, andererseits ist dies das beste Album des Labels seit langem. Doch so sehr man gerade bei der Teilnahme Pascoals ein dynamisches, brasilianisch gefärbtes Album erwartet, driftet es oft in konventionelle Jazzstücke ab – wenngleich diese durchaus höhere Ansprüche befriedigen sollten. Doch gibt es einige Stücke, die zeigen, was daraus im Sinne eines Braziljazz-Albums hätte werden können. Den Klassiker „Tudo Que Voce Podia Ser“ von Milton Nascimento & Lo Borges kennt man im Original recht melancholisch und ebenfalls von Airto Moreira & Flora Purim spannend interpretiert. In Khans Coverversion bekommt das Ganze einen gelungenen Jazzfunk-Touch mit passender Stimme von Far-Out-Star Sabrina Malheiros. Diesen Weg hätte Airto auf seinen letzten Alben gehen sollen, als er sich mit Fourth World modisch updaten ließ. Hermeto Pascoal dagegen ist sozusagen die Würze dieses Albums. Er spielt hier das Fender Rhodes Piano, aber ohne richtig auszuflippen, doch in seinem Stück „Montreux“ greift er schließlich zu einer halb vollen Teekanne und improvisiert darauf. Warum nicht gleich so? Bleibt noch zu würdigen, dass Azymuth-Drummer Ivan Conti öfters atmosphärische brasilianische Perkussion beisteuert und die zweite Far-Out-Sängerin Heidi Vogel hier einen souligen Einsatz liefert, der fast an Cassandra Wilson erinnert. Insgesamt ein agiles Jazzalbum, bei dem die brasilianischen Gäste für die interessantesten Momente sorgen.

Sons Of Kemet – „Your Queen Is A Reptile“

 Sons Of Kemet – „Your Queen Is A Reptile“Impulse!, Verve, Universal
Carribean Jazz

Der englische, aber auf Barbados geborene Saxophonist Shabaka Hutchings hält nichts von der Verehrung der englischen Monarchie in seinem Land, er hat sich eigene Queens auserkoren und ihnen widmet er seine Stücke: Frauen, zu denen man aufschauen kann wie Black-Power-Aktivistin Angela Davis oder Harriet Tubman, eine afroamerikanische Fluchthelferin für Sklaven aus den amerikanischen Südstaaten während der Sezessionskriege. Musikalisch klingt sein Album sehr nach New Orleans: Snaredrums, dazu Tuba und Saxophon werden versetzt mit Jazzimprovisationen, Spoken Word und Rap bis hin zu Dub-Elementen. Interessante Weiterentwicklung der Marching-Band-Musik, auf Dauer jedoch etwas eintönig.

Camarão – „The Imaginary Soundtrack To A Brazilian Western Movie, 1964-1974“

Camarão – „The Imaginary Soundtrack To A Brazilian Western Movie, 1964-1974“Analog Africa No. 25
Brasilien / Forró

Von den großen Meistern des nordost-brasilianischen Forró ist außer Luiz Gonzaga hierzulande kaum jemand bekannt. Den Akkordeon-Spieler Camarão sollte man jedoch dazu zählen. Seine weitgehend instrumental vorgetragene Musik ist sehr treibend und repetetiv. Hätte der Mann Anfang der Sechziger schon einen Sequenzer gehabt, Techno wäre vielleicht sein Ding gewesen. Punktgenauer Beat mit der Basstrommel, flirrender Rhythmus mit dem Triangel, ein wildes Akkordeon und einfache Melodien genügten ihm dazu. Tanzbar war das sowieso. Ende der Sechziger riet man ihm, den Forró zu erneuern, da nahm er Bläser dazu, ersetzte die Trommel durch eine E-Gitarre, die Band legte die folkloristischen Kostüme ab und warf sich in poppige Showanzüge. Das klang dann aber nicht mehr ganz so aufregend. Als die Militärdiktatur dafür sorgte, dass der brasilianische Musikmarkt mit ausländischer Musik überschwemmt wurde, war die Forró-Welle dann Mitte der Siebziger vorbei. Die Kompilation hat ein ausführliches Booklet mit u. a. einem Foto der geköpften und in Salzlake konservierten Häupter der Bande des Räuberhauptmannes und Musikers Lampião, dessen Uniform von den meisten Forró-Spielern immer übernommen wurde, weil er als eine Art Robin Hood des brasilianischen Hinterlandes galt.

Edmony Krater – „An Ka Sonjé“

Edmony Krater – „An Ka Sonjé“Heavenly Sweetness, Broken Silence
Guadeloupe / Gwo Ka-Rhythmen, Jazz, Funk, Afro

Alben aus der Karibik sind immer für eine Überraschung gut, so auch im Fall des Sängers, Trompeters und Perkussionisten Edmony Krater von der Insel Guadeloupe. Der bietet eine gut funktionierende und tanzbare Mischung aus den Rhythmen seiner Heimat, eingängigen Melodien zum Mitsingen und treibendem Fusionjazz. Immer wieder drängt sich ein funkiger Slap-Bass in den Vordergrund, aber es wird auch öfter mit der Kombination programmierter und akustischer Perkussion experimentiert. Die Musik tendiert manchmal zu anderen Stilen wie Salsa, Zouk oder der nigerianischen Juju Music. Dafür, dass Krater seit 30 Jahren kein Album aufgenommen hat, bietet er eine überraschend abwechslungsreiche Idee von karibisch orientiertem Jazz.

Sidi Wacho – „Bordeliko“

Sidi Wacho – „Bordeliko“Blueline, flowfish, Broken Silence
Frankreich, Chile / Latin Hip Hop

Die französisch-chilenische Truppe Sidi Wacho ist eine jener typischen Mestizo-Bands, die Party- und Mitsingstimmung garantieren, sich wichtiger politischer Aussagen rühmen und Multi-Kulti-Musik betreiben. Hip Hop ist die Basis, vermischt mit Electro-Cumbia, Einflüsse des Balkan-Pop, aber es ist auch mal was fürs Herz und ein afrikanischer Souskous dabei. Die Besetzung mit einem Akkordeonspieler mag man dazu auch als recht ungewöhnlich bezeichnen. Obwohl dies nach Abwechslung klingt, wirken viele Stücke doch sehr nach dem immer gleichen (Hip Hop-)Strickmuster und man hat das Gefühl, dass hier musikalische Gesten wichtiger sind als musikalische Originalität.

Orquesta Akokán – „Orquesta Akokán“

Orquesta Akokán – „Orquesta Akokán“Daptone Records, Good 2 go, Groove Attack
Kuba / Mambo u. a.

Wer auf solch illustre Namen von Mambo-Königen wie Pérez Prado, Arsenio Rodríguez oder Cachao steht, sollte sich das Orquesta Akokán nicht entgehen lassen. Bereits im ersten Titel schlägt diese Bigband voll zu: rasantes Tempo, krachende Perkussion, irrwitzige Gesangskaskaden, donnerndes Klavier. Vorsicht! Abspielgerät nicht anfassen! Ja, das brennt richtig und so stellt man sich auch gemeinhin das Feuer in der kubanischen Musik vor. Die Truppe taucht überraschenderweise auf dem New Yorker Daptone Label auf, das zuletzt für Soul- und Funk-Revival-Stars wie Sharon Jones und Charles Bradley bekannt war, die aber beide verstarben. Daptone war jedoch schon immer offen in andere Richtungen und hat mit dem Orquesta Akokán einen heiß kochenden Act an Land gezogen. Das Orquesta Akokán wird angeführt und zusammengestellt vom kubanischen Sänger José „Pepito“ Gómez. Es ist eine All-Star-Gruppe, in der sich u. a. Musiker wie Pianist César „Pupy“ Pedroso von Los Van Van, einer Saxophon-Sektion mit Mitgliedern von Irakere und einer Percussion-Group mit Mitgliedern von NG La Banda tummeln. Fazit: Lange keine solch hochenergetische kubanische Band gehört.

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Hans-Jürgen Lenhart schreibt als regelmäßiger Gastautor für das deutsche Lateinamerika-Magazin Latin-Mag. Er ist Musikjournalist und seit über 20 Jahren Experte für Latin Music. In der Artikelserie Latin Music News berichtet er alle zwei Monate über Neuerscheinungen in der lateinamerikanischen Musikszene.

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