Willkommen zur ersten Ausgabe der Latin Music News, in der wir Neuerscheinungen in der Latin Music erfassen. Heute mit Flavia Coelho, Lucas Santtana und Gilberto Gil.
Flavia Coelho – „Mundo Meu“
Flowfish, Broken Silence
Brasilien / Brazil Pop
Die in Frankreich lebende Brasilianerin Flavia Coelho versucht mit Einflüssen angesagter Musikstile eine sehr zeitgemäße Fassung der brasilianischen MPB (Música Brasileira Popular) vorzulegen. Klang Flavia Coelhos Vorgängeralbum „Bossa Muffin“ (in den Remixen) noch zu elektronisch überdreht, so zeigt sie auf „Mundo Meu“, dass einprägsame Melodien erst mal die halbe Miete sind. Dazu sprüht sie voller Energie und weiß, die Anreize für den internationalen Markt geschickt einzubauen. Die Songs zeigen Einflüsse von Dub, Hip Hop, Afrobeat oder Rocksteady und sogar Shantels Balkanpop und mit Gästen wie Patrice oder Tony Allen hat sie auch angesagte Stars auf dem Album. Das hat Zukunft.
Lucas Santtana – „Sobre Noites E Dias“
No Format, naïve, Indigo
Brasilien / Alternative Rock
Lucas Santtana stammt aus der brasilianischen Alternative-Szene. Er wurde vor einiger Zeit noch als Folk-Erneuerer gepriesen. Sein neues Album ist jedoch eher im Elektropop der 80er Jahre verwurzelt, verbunden mit eigentümlichen Klängen, teilweise brasilianischer Melodieführung. Das zeigt mal wieder, dass in Brasilien mit allem zu rechnen ist. Santtanas Gesang erinnert am ehesten an Arto Lindsay. Das hat nichts mit Brasilien als Weltmusik zu tun und dennoch verbindet diese Art Musik Brasilien mehr mit der Welt als die gewohnten Stile, denn das Brasilianische ist als Gestus hier immer vorhanden. Gleichzeitig präsentiert Santtana damit auch eine elektronische Alternative zu den rauen Stilen Baile Funk und Tecnobrega. Er baut mal Cavaquinho-Klänge oder Rhythmen des Nordostens ein, nutzt aber auch Strukturen der Minimal Music. Höhepunkt ist seine elektronische Ballade „Blind Date“ mit sphärischen Klangwolken vom Cello. Sein „Polycultural Pop“ ist letztlich nichts anderes als was brasilianische Gruppen wie Os Mutantes in den 60ern als Einflüsse der internationalen Rockmusik in die brasilianische Musik einbrachten, nur upgedatet auf heutige Entwicklungen der internationalen Musikszene.
Gilberto Gil – „Gilbertos Samba“
Geleia Geral, Sony Music
Brasilien / Samba, Bossa Nova
Wenn Gilberto Gil sein neues Album „Gilbertos Samba“ nennt, dann ist das doppeldeutig gemeint. Einerseits ist es eine Hommage an João Gilberto, dem Altmeister der Bossa Nova, denn wie schon seit Jahren widmet sich Gil hier wieder seinen musikalischen Wurzeln, sei es Bahia, Reggae oder Tropicálismo. Gil spielte die Stücke mit akustischer Gitarre ein und ähnelt damit den legendären Aufnahmen João Gilbertos. Wer diesen Namen nur mit Bossa Nova verbindet, dem sei gesagt, dass der Bossa Nova eine Mischung aus dem langsamen Samba Canção und Cool Jazz ist, also im Grunde als Samba angesehen werden kann, jedoch nicht mit dem Karneval-Samba-Partysound zu vergleichen ist. João Gilberto spielte also eine Abart des Sambas.
Andererseits sind hier auch jede Menge Eigenkompositionen Gilberto Gils zu hören und auch Stücke von Bossa Nova-Kollegen wie Dorival Caymmi, Carlos Lyra oder Caetano Veloso. Musikalisch gesehen wollte Gil auch keineswegs exakt wie João Gilberto klingen. Er macht sich die Songs durch feine Arrangementideen zu Eigen. Gerade beim Klassiker „Desafinado“ merkt man: Gil pflegt einen härteren Anschlag und helleren Klang auf der Gitarre und spielt im Hintergrund obskure Klänge dazu. Generell hat er bei jedem Stück eine klangliche Besonderheit dabei, sei es eine Flöte, ein Akkordeon, eine Geige oder Percussion. Rhythmisch spielt Gil die Sambas gewohnt versiert, aber man hat trotzdem das Gefühl, wieder mal eine neue Seite von Gilberto Gil kennengelernt zu haben.