Das Box-Set „The Rough Guide To Latin Grooves“ besteht aus drei CDs, die die Musik-Richtungen Urban Latino, Latin Lounge und Latino Nuevo thematisieren.
Box: „The Rough Guide To Latin Grooves“–
„Urban Latino“, „Latin Lounge“ & „Latino Nuevo“
World Music Network, harmonia mundi / 2008
Latin Urban Music
In Deutschland zugängliche Latin Music repräsentiert keineswegs unbedingt die Musik, die in Lateinamerika wirklich populär ist und von Latinos für Latinos gemacht wird. Diese entzieht sich meist einer eindeutigen Kategorisierung und enthält von Europa aus gesehen oft nur noch rudimentäre Latin-Elemente. Doctor Krapula aus Kolumbien ist ein solches Beispiel. „The Rough Guide To Latino“-Box widmet sich nun insbesondere auf der Kompilation „Urban Latino“ derartigen Entwicklungen. Die Box ist insofern ein wichtiger Wegweiser, wie sie aufzeigt, dass der Begriff Latin Music sich immer mehr relativiert und Weiterentwicklungen sich in einem großen Patchwork auflösen. Insbesondere verführen gerade auf „Urban Latino“ viele Titel dazu, Auflösungstendenzen der Latin Music statt Innovationen herauszuhören. Schließlich hat es wenig mit Latin Music zu tun, wenn ein Neo-Soul-Stück auf Spanisch gesungen wird. Dennoch: That’s the way it is! Typisch für die Entwicklung in Lateinamerika ist Yerba Brava – ein Beispiel für den aktuellen argentinischen Cumbia Villera: Cumbia-Beat mit billigen Keyboards und zynischen Texten. Absolut hörenswert dazu: Das Interview mit dem Compiler Chris Moss, einem Kenner der argentinischen Cumbia Villera-Szene sowie der Tropical Music.
Ein anderer Planet ist die „Latin Lounge“. Hier sind europäische Remixer-/DJ-Produktionen für die Clubs zusammengestellt. Die Rhythmen klingen programmiert, jazzige Keyboards und soulige Sänger lockern das Ganze meist auf. Diese Musik dient eher dem nebenbei Hören als dem Tanz. Latin-Elemente bilden hier nur gewürzartige Zutaten zu einem straighten Beat. Scratching und Dub-Effekte designen die Musik als hip. Bei Alex Wilson & The Salsa Con Soul Orchestra würden z. B. echte Salsa-Liebhaber die Krätze bekommen. Dies ist eher Neo-Soul mit dezenten Salsa-Elementen. Aber es gibt auch Projekte wie das deutsche Ju Ju Orchestra, die nicht nur rein im Studio existieren. Letzteres arbeitet auf Latin Music basierten Samples, tritt aber live mit vielen Gastmusikern auf. Dass Latin Lounge nichts eigentlich Neues ist, zeigt lobenswerterweise das Booklet. Hier wird eine Geschichte des Stils von den 1950er Jahren her entworfen.
Vergleichsweise verstehen Bands wie Yerba Buena da noch am ehesten, die ungeheure Energie von Latin Music mit der anderer Stile kreativ zu verbinden. Sie lassen die Bläser nicht weg und featuren auch mal einen Rapper. Derartige Crossover-Bands finden sich auf der dritten Kompilation der Box – „Latino Nuevo“. Trotz der Mischung von Latin-Stilen mit Rock, Funk, Dancefloor bleibt hier der Latin-Charakter erhalten. Quantic schafft z. B. die Brücke zwischen Afro Beat, Salsa und Club Music. Und auch die fantastischen Spam Allstars spielen eine Musik, die sich genau in der Mitte eines Dreiecks zwischen Nord-, Südamerika und Afrika befindet. Absolut entdeckenswert. Die Vielfalt der Stile und ihr Crossover ist überwältigend.