In den Latin Music News stellen wir alle zwei Monate neue Alben und Kompilationen aus der lateinamerikanischen Musikszene vor.
„The Rough Guide To Psychedelic Cumbia“
(Verschiedene Künstler)
World Music Network, harmonia mundi
Cumbia
Die Kompilationsreihe „The Rough Guide“ bietet seit Jahren eine gute Übersicht, was in der Latin Music geschah und geschieht und macht vor allem Musik zugänglich, die ansonsten kaum Wege zu uns finden würde. Gleich drei Rough Guides zu Einflüssen der Rock- und Popmusik auf die Latin Music sind jetzt erschienen. Alle versuchen einen roten Faden zu vermitteln zwischen den Pionieren im Latin Crossover in den 1960er oder 1970er Jahren und der Fortführung und Wiederentdeckung dieser Sounds bei Urban Latin und Tropical Bands nach 2000. Und es geht auch darum zu zeigen, wie Latin Musiker Einflüsse von außerhalb mit ihrer angestammten Musik verbanden oder dass sie bestimmte Stile mitprägten, obwohl gelungene stilistische Verbindungen eher neueren Datums sind. Klar ist jedenfalls, dass jegliche Art von internationaler musikalischer Entwicklung zu allen Zeiten auch sehr schnell in den letzten Winkeln Lateinamerikas Fuß gefasst hat. So gab es z. B. dort zur gleichen Zeit psychedelische Rockbands wie in England und den USA. Natürlich färbte das auch auf die regionale Musik wie der Cumbia ab, deren Musiker damit ihren Stil moderner klingen ließen. Für jüngere Musiker war das Einbringen von elektrischen Orgeln und Gitarren in die einst akustische Cumbia-Musik auch ein Einklinken in die weltweite Protestbewegung der Jugend gegen gesellschaftliche Missstände in den 1960ern. Insbesondere in Peru fielen die neuen Klänge auf fruchtbaren Boden und bildeten die Grundlage für das heutige Cumbia Revival und die schrägen Sounds vieler Tropical-Bands. Insofern hört man hier zumeist typische Cumbias von Bands mit illustren Namen wie „Los Wembler’s De Iquitos“ mit ihren einfachen fröhlichen Melodien, vermengt mit antiquiertem Orgelsound, Surfgitarre, Wah Wah-Gitarre und urigen Synthesizerklängen. Das Ganze hätte man zwar genauso gut auf dem Akkordeon spielen können, aber so klang es um 1970 eben moderner. Ob man das nun „psychedelisch“ nennen muss, sei mal dahingestellt. Es ging eher um die Elektrifizierung der regionalen Stile als weltweite Tendenz. Ohne die teilweise durchaus schrägen Vorgaben der frühen Cumbia „Rocker“ gäbe es heute aber die in ihrer Experimentierfreude sehr frisch klingenden Chicha- und Tropical-Bands in Peru, Kolumbien oder Mexiko nicht. Sie funktionieren wie ein stilistisches Labor inklusive musikalischer Zeitmaschine. Richtig gut und dann doch noch etwas psychedelisch hört sich da von den heutigen Bands das M.A.K.U. Soundsystem an: Zu einer im Tempo halbierten Cumbia blubbern schöne sphärische Science Fiction-Sounds. Und auch die Cumbia Cosmonauts kommen richtig bekifft und knöpfendreherlastig daher mit etlichen Dub-Effekten, wobei Dub ja psychedelische Musik per se ist. Also, die Hippies sind wieder da und man kann schon sagen, dass in Lateinamerika da derzeit ein Nest sein muss.
„The Rough Guide To Psychedelic Samba“
(Verschiedene Künstler)
World Music Network, harmonia mundi
Brasilien / Brasilianische Alternative Scene
Bei diesem Rough Guide wird suggeriert, dass es in Brasilien beim Samba genauso läuft wie bei der Cumbia. Ob die hier aufgeführten Bands sich aber als „Psychedelische Samba-Musiker“ sehen würden, ist zu bezweifeln. Manchmal sind die Latin-/Samba-Elemente ganz verschwunden und bevor man sich fragt, was psychedelische Musik eigentlich ausmacht, nehme man vielmehr die Kompilation als einen Überblick all dessen, was in Brasiliens Musikszene abseits der gängigen Klischees derzeit so passiert. Letztlich haben wir es hier mit der brasilianischen Alternative Rock-, Pop– und Electro-Szene zu tun, in der das Brasilianische natürlich nie ganz außen vor ist. Aber dann gibt es doch z. B. einen Russo Passapusso, dessen Backgroundchor von Echos durchlöchert ist und ab und zu zischen Lasergewehre dazwischen. Auch Luciano Salvador Bahia & Ava Rocha gehen geschickt mit der Samba-Perkussion um. Diese wird sehr minimalistisch und eher als Klangfarbe eingesetzt, der Rhythmus kommt von der E-Gitarre, der Gesang ist relativ dezent, dazu einige sägende Klänge. So macht man’s, wenn man’s anders machen will. Poeta De Aco überzeugen zum Schluss noch am ehesten: Sie mixen elektronische Beats, Dub-Sounds, verfremdeten Gesang, aber mit typischer Samba-Melodie und dem Klang der kleinen Cavaquinho. Ist das nun Electro Samba? Warum nicht, Electro Tango gibt’s ja auch.
„The Rough Guide To Latin Disco“
(Verschiedene Künstler)
World Music Network, harmonia mundi
Latin Disco
Ähnlich wie bei der Psychedelic Latin Music nicht unbedingt immer drin ist, was drauf steht, sind bei der Latin Disco nicht unbedingt immer Latin-Elemente herauszuhören. Hier handelt es sich weitgehend um Disco-Titel mit allen üblichen Zutaten, allerdings von Latinos eingespielt. Für die New Yorker Disco-Szene und ihre Latinos war das Salsoul Records Label mit der Hausband Salsoul Orchestra ausschlaggebend. Dessen „Ritzy Mambo“ wirkt, als hätte man afrokubanische Rhythmen zu einem Disco-Titel dazu gemischt, aber man merkt auch, die Instrumentalisten bieten in ihren Soli die handwerkliche Qualität, die man aus dem Latin Bereich gewohnt ist. Der Gründer des Labels und Salsasoul-Sänger Joe Bataan ist auch vertreten wie auch der legendäre Perkussionist Candido, der sich Ende der 1970er ebenfalls mal im Disco-Milieu versuchte. Und es gab Covers wie das leicht abgewandelte „Kung Fu Fighting“ von Carl Douglas, das sich als „Combate A Kung Fu“ von Wganda Kenya aus Kolumbien wiederfindet. Auch die neueren Bands müssen sich in ihrer Dancefloor-Tauglichkeit keinesfalls verstecken. Insbesondere die Gruppen Malena und Grupo X zeigen, dass Disco im Latin Barrio heute immer noch quicklebendig sein kann.
Renata Rosa – „Encantações“
Hélico, Broken Silence
Brasilien / MPB
Renata Rosa ist eine brasilianische Sängerin aus dem Nordosten, der man ihre Wurzeln anhört, aber auch ihr Bestreben, sich anderen Einflüssen zu öffnen. Sie hat eine hohe, intensive Stimme, die Melodien sind sehr einfach, oftmals tänzelnd, aber eingängig. Die Gitarre klingt manchmal fast nach Hackbrett, Snaredrum und andere Perkussionsinstrumente bestimmen das Spiel. Ab und zu gesellen sich Fidel und Trompete hinzu. Hört man der Musik eine Weile zu, merkt man, dass auch Marisa Monte aus dieser Ecke kommt. Der mit Abstand schönste Titel ist „Aguas Nos Olhos“, eine beseelte Melodie, mit sakraler Stimmung und vielen Pausen. Davon hätte es ruhig mehr sein können.
Sabrinha Malheiros – „Equilibria“
Far Out Recordings
Brasilien / MPB
Vor zehn Jahren ist dieses Album schon mal erschienen und war der Beginn einer ansehnlichen Karriere für die brasilianische Sängerin Sabrinha Malheiros. Der Mix aus programmierten Beats und brasilianischen Rhythmen mit entspanntem Gesang und gedämpften, leicht jazzigen Keyboardsounds war eine gekonnte Alternative zu den Brazilectro-Produktionen, die damals oft vom Fließband kamen. Der Sound erinnert an die wohlklingende Brazil Fusion Band Azymuth, was auch kein Wunder ist, denn Sabrinha ist die Tochter von Alex Malheiros, dem Bassisten der Band, und Azymuth spielt hier weitgehend mit. Aufgefüllt wurde die Wiederveröffentlichung mit etlichen bis dahin nicht enthaltenen Instrumentaltracks, was man aber nicht braucht, wenn man das Album schon hat. Ansonsten kann man sagen: Chillen der besseren Art.
Los Lobos – „Gates Of Gold“
Proper Records (H’ART)
USA / Tex Mex, Rock
Wer Los Lobos aufgrund ihres Hits „La Bamba“ von 1987 und ihres Namens für eine Tex Mex-Band hält, dem ist eigentlich nicht zu helfen. Die Band kommt weder aus Texas noch aus Mexiko (sondern aus L.A.) und hält sich musikalisch mit Latin-Stücken auf ihrem neuen Album relativ zurück. Dennoch stehen der Name Los Losbos („Die Wölfe“, wie in Mexiko indianische oder schwarze Vorfahren bezeichnet werden) und ihre Texte (Alle Mitglieder sind Söhne von Migranten) für die Hispanos in den USA. Die Band besteht nun rund 42 Jahre. Ein großes Alterswerk ist „Gates Of Gold“ nicht, eher gemütlicher Altherren-Rock, der manchmal nicht weiß, wo er hin will. So klingt „There I Go“ eher nach einem „Where Do I Go?“: 70 Prozent des Songs besteht aus der Schlagzeugspur und etwas Gegrummel vom Keyboard. Üben sollte man halt vor der Aufnahme. Ansonsten ein paar Uptempo-Stücke wie „Where We Were Free“, das sich etwas in Richtung Canned Heat orientiert, und noch am überzeugendsten, „I Believed You So“, rauer, scheppernder Garage Blues. Die zwei Latin-Stücke wirken in diesem Konzept dann plötzlich irgendwie deplatziert. Insgesamt enttäuschend schwach.
Mariachi Los Camperos De Nati Cano – „Tradición, Arte Y Pasión“
Smithsonian Folkways Recordings, Galileo-mc
Mexiko / Mariachi Musik
Schluchzende Geigen, zitternde Trompeten, klimpernde Harfen, inbrünstige Männerchöre, viel Dreiviertel-Takt, ein Jauchzen und Jubeln, das durch die Lieder schallt sowie jede Menge Herzschmerz. So lässt sich die Musik der Mariachi Los Camperos De Nati Cano beschreiben – der ersten Mariachi-Band, die einen Grammy (2008) gewann. Die Geigen machen einen auf Speedy Gonzales: Rasant, dass einem der Atem stockt. Sogar Einflüsse des Swing sind dabei zu hören. Es gibt Medleys, Tempiwechsel und tolle Arrangements, was zeigt, dass diese Truppe wirklich Ansprüche hat. Das Album ist dem „Goldenen Zeitalter” der Mariachimusik, den 1940er und 1950er Jahren gewidmet und ihrem berühmten Namensgeber, dem im Oktober 2014 während der Aufnahmen verstorbenen Natividad „Nati” Cano. Er erfand in Kalifornien Ende der 1960er die Mariachi Dinner Theatres und machte die Musik damit auch in den USA sehr populär. Wer sich für diese extrem leidenschaftliche Musik erwärmen kann, der kann an dieser legendären Band nicht vorbei.
Dabi & Debora Gurgel Quarteto – „Garra“
Berthold Records, Ja Kla, harmonia mundi
Brasilien / Brazil Jazz
„Takn-tekn-takn-taa“ – Man spreche das mal mehrfach sehr schnell nach, dann bekommt man einen ungefähren Eindruck über die Scat-Künste der brasilianischen Sängerin Dabi Gurgel. Sie bildet mit Mutter Debora sowie ihrem Ehemann und einem Freund ein Brazil-Jazz-Quartett, das besonders in Japan erfolgreich ist. Rhythmisch sehr versiert, präsentiert sich Dabi als eine weitere Meisterin des so typischen textlosen Gesangs in Brasilien, zudem sie oft mit ihrer Mutter am Klavier noch unisono singt. Am besten kommt dies in „Dancelo“ rüber, aufbauend auf einem afrikanischem Rhythmus mit Klick- und Schnalzlauten, über den dann improvisiert wird. Dabis perkussiver Gesang ist vielleicht am ehesten vergleichbar mit Tânia Maria oder Airto Moreiras Vokalparts, wobei das Spiel der Band nicht ganz so intensiv ist wie bei den eben Genannten.