Das 2016 für den Oscar nominierte, kolumbianische Filmdrama „Der Schamane und die Schlange“ versetzt den Zuschauer in einen real wirkenden, und doch mystischen und sehr psychedelischen Amazonas-(Alb)Traum.
Kolumbianisches Amazonas-Gebiet im Jahr 1909: Der deutsche Anthropologe Theodor von Martius (Jan Bijvoet) wird auf seiner mehrjährigen Amazonas-Expedition zur Erforschung indigener Stämme schwerkrank. Sein Assistent Manduca, ein ehemaliger Plantagen-Sklave der spanischen Kolonialherren, sucht daraufhin den „Weltenwanderer“ Karamakate (Nilbio Torres) auf, um die Krankheit mit der geheimnisvollen Yakruna-Pflanze zu heilen. Dieser Schamane ist der vermeintlich letzte Überlebende des Cohiuano-Stammes und weiß daher als einziger, wo die Pflanze gedeiht und wie man sie als Heilmittel anwendet. Zuerst weigert er sich, einem Weißen, dessen Rasse bisher nur Unheil in den Dschungel gebracht hat, zu helfen. Doch Theo und Manduca können Karamakate durch ehrliches Interesse an seinem Wissen schließlich überzeugen, woraufhin eine spannende Flussfahrt auf dem Amazonas auf der Suche nach seinem Heimatdorf beginnt.
31 Jahre später trifft der US-amerikanische Botaniker Evan (Brionne Davis) auf den gealterten Karamakate (Antonio Bolívar). Dieser scheint die Anwendung seiner Natur-Geheimnisse als Schamane verlernt zu haben, die Pflanzen und Tiere sprächen nun nicht mehr zu ihm. Sein Körper sei eine leere Hülle namens Chullachaqui. Evan ist ebenfalls auf der Suche nach Yakruna, um diese sagenumwobene Pflanze in die westliche Welt zu bringen und dort ihre Heilkräfte einsetzen zu können. Die beiden Männer finden trotz extrem unterschiedlicher Auffassungen Sympathie aneinander und begeben sich auf eine zuerst ziellose, für beide aber am Ende sehr lehrreiche Reise durch den Urwald.
Die zwei Zeitstränge fließen im Film wild durcheinander wie die Seitenarme des Amazonas durch den grünen Regenwald (im Schwarz-Weiß-Film ist dieser natürlich grau dargestellt; durch tausende Schattierungen entsteht aber eine erstaunliche Tiefe). Man erkennt dabei die Parallelen zwischen den westlichen Wissenschaftlern Theo und Evan, die beide Wissen anreichern und verbreiten wollen, sowie die einschlägigen Unterschiede zwischen dem jungen und dem alten Karamakate. Am auffälligsten sind allerdings die Veränderungen in der Natur selbst: durch die Ausbeutung der Kautschuk-Bäume, die Auseinandersetzungen zwischen den indigenen Einheimischen und den kolonialen Eindringlingen sowie den fehlenden Respekt der Kolonialherren für den Wald und die Völker wurde sie geradezu zerstört – genau wie Karamakates Wissen, die er auf dem zweiten Trip, der durch die mehrfache Einnahme von halluzinogenen Drogen gar zu beiderseitiger Selbstfindung avanciert, wiederzuerlangen versucht.
Die beiden Geschichten basieren lose auf den Tagebüchern und Reise-Aufzeichnungen der Forscher Theodor Koch-Grünberg und Richard Evans Schultes. Der Film konzentriert sich dagegen eher auf die Wahrnehmung der Welt durch Karamakate und dementsprechend der indigenen Völker, die durch die Kolonisten in ihrem Leben komplett beeinträchtigt werden. Ciro Guerra kritisiert in seinem Werk dabei vor allem die Zerstörung dieser Völker und deren Wissen sowie die Ausbeutung der Natur. Dabei greift er des Öfteren zu psychedelischen, mystischen und traumhaften Elementen des Erzählens, seien es poetische Worte und Geschichten des Schamanen, albtraumhafte Drogentrips der Protagonisten oder die eindringlichen Cinemascope-Aufnahmen des Kameramanns David Gallego.
Diese besondere und noch nie dagewesene Mischung aus wahrer Historie, mythischen Sagen, magischen Träumen, epischen Bildern und kritischer Ernsthaftigkeit lassen den Film aus den Zuschauer geradezu bewusstseinserweiternd wirken – in mehrfacher Hinsicht. Deswegen wurde er wohl auch als erster kolumbianischer Film überhaupt 2016 für den Oscar als Bester Fremdsprachiger Film nominiert. Neben Spanisch werden in „El Abrazo De La Serpiente“ im Übrigen auch Deutsch, Englisch, Portugiesisch und diverse Amazonas-Sprachen gesprochen).