Das nach ihm selbst benannten Debutalbum von Edson Cordeiro ist ein weiterer Teil unserer Reihe der Klassiker-Alben aus Lateinamerika. Hier die Besprechung:
Edson Cordeiro – „Edson Cordeiro“
Columbia / 1992
Brasilien / MPB, Crossover
Mitte der 1990er Jahre gab es vergleichsweise paradiesische Zustände für Fans der brasilianischen Musik in Deutschland. Die großen Stars der Música Popular Brasileira (MPB) kamen so oft wie noch nie zu uns und mit ihnen auch einige hierzulande noch unbekannte Musiker wie Edson Cordeiro. So sehr brasilianisch war aber sein Programm gar nicht und ob sein Genre-Hopping zwischen Klassik, Rock und Jazz vom auf Sambatrommeln geeichten Publikum akzeptiert werden würde, wusste bis dahin niemand. Was dann aber auf der Bühne stand, verschlug jedem den Atem. Ein lebenslustiger kleiner Mann mit Headbanger-Mähne, Plateau-Schuhen und supersexy Netzhemd, der mit einer umwerfenden Stimme „Satisfaction“ der Stones singt und mittendrin eine Arie aus Mozarts „Zauberflöte“ einbaut. Ob Duke Ellingtons „Creole Love Call“, George Bizets „Carmen“, Nina Hagens „Naturträne“ oder „Kiss“ von Prince, Cordeiro trällerte mit einem rekordverdächtigen Stimmumfang von vier Oktaven (G – g′′′) auf augenzwinkernde Art diese Genre-Klassiker, melodramatisch bis in die Haarspitzen. Alles nachzuhören auf seinem Debutalbum „Edson Cordeiro“. Das Publikum reagierte enthusiastisch. Cordeiro konnte sich vor Angeboten kaum retten und wurde gar für Privatvorstellungen engagiert. So etwas hatte man bis dahin (außer vielleicht bei Klaus Nomi in den 1980ern) nicht erlebt und das ausgerechnet aus Brasilien. Der Sänger wirkte wie ein neuer Caruso, wurde von jedermann akzeptiert, füllte in Brasilien Fußballstadien, war bei Kindern und Klassikfans besonders beliebt.
Natürlich konnte man fragen, was das mit brasilianischer Musik zu tun hat. Doch genau dass er sich jeder Kategorisierung entzog, als musikalisches Chamäleon wirkte, scheinbar Gegensätzliches verband, das macht ebenfalls Brasilien aus. Die brasilianische Kulturtheorie des Antropófagismo aus den späten 1920ern, die kurz gesagt beinhaltet, fremde Kulturen auf „kannibalistische“ Art aufsaugen und zu verdauen, schwingt hier wieder mit. Denn Cordeiro „fraß“ Janis Joplins „Mercedes Benz“ und verdaute es zu einer Arie. Und er machte sich mit seinem Programm die E- und U-Musik der Welt zu Eigen und bettete sie in ein Umfeld aus brasilianischer Musik von Tradition (Baiao), Pop (Cazuza) und MPB (Chico Buarque). Allein sein Repertoire zeigt auch ein unglaublich breites musikalisches Wissen über Genres. Auch damit ist er als Künstler eine Ausnahme.
Später rasierte sich Cordeiro seine Haare ab, setzte seinen radikalen Zick-Zack-Kurs fort, machte noch einige ähnliche Alben und brachte einige Disco-Alben sowie ein Arien-Album heraus, Vorlieben, zu denen auch seine Homosexualität beigetragen haben mag. In Deutschland, im Land der Klassik blieb er schließlich hängen, lebt heute in Lübeck und tauchte 2014 in der unsäglichen „Supertalent“-TV-Show auf. Aber letztlich hat Cordeiro lange vor David Garrett auch sehr viel zur Popularisierung von Klassik beigetragen, am ehesten, als er sich mit dem Dresdener Klassik-Trio The Klazz Brothers zusammentat, die für dieses Ansinnen einen sehr akzeptablen Weg gehen.