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Latin Music News #33 – Neue Alben und Wiedererscheinungen

Sergio Mendes – „In The Key Of Joy“

In unserer Rubrik Latin Music News stellen wir alle zwei Monate Neuerscheinungen und Wiederveröffentlichungen aus der lateinamerikanischen Musikszene vor. Es ist Zeit für die Ausgabe Nummer 33.

Sergio Mendes – „In The Key Of Joy“

Sergio Mendes – „In The Key Of Joy“Concord, Universal
Brasilien, USA / MPB

Sergio Mendes, der wohl kommerziell erfolgreichste brasilianische Musiker aller Zeiten, feiert jetzt 60 Jahre auf der Bühne. Für viele war er in den Sechzigern der Einstieg in die brasilianische Musik, denn insbesondere sein Hit „Mas Que Nada“, der eigentlich von Jorge Ben geschrieben wurde, setzte sich in Zeiten der Beatlemania in den Hitparaden durch und er ließ einige weitere folgen. 2006 gelang es Mendes, damit noch mal Kasse zu machen, denn mit der Rap-Unterstützung der Black Eyed Peas wurde „Mas Que Nada“ erneut ein Hit. Neben seiner großen Phase in den Sechzigern mit seiner Begleitgruppe Brasil 66 wusste sich Mendes immer wieder in die Spitzen der Charts zu bringen, so auch 1983 mit der Popballade „Never Gonna Let You Go“. Die Verbindung von brasilianischer mit amerikanischer Musik, insbesondere angesagten Stilrichtungen und einer Mischung zwischen Tanzmucke und Balladen sowie die Einbindung angesagter Stars aus ganz Amerika haben ihn fast immer auf der Erfolgswelle schwimmen lassen. Ein neues Album von ihm hat etwas von einem Ereignis. Man ist neugierig auf die Gäste und wie er mit den neuesten stilistischen Entwicklungen umgeht. Auf ähnliche Weise hatte sich ja auch Carlos Santana 1999 mit „Supernatural“ zurück in die Erfolgsspur gebeamt. Mendes macht das schon Jahrzehnte vor. Mit dem gleichen Konzept immer oben zu bleiben, ist natürlich nicht ganz einfach. Mendes letztes Album „Magic“ von 2014 hatte nicht mehr das Niveau der Vorgänger. Demgegenüber kann man sein jetziges Album als leichte Steigerung empfinden.

Nicht verzichten will Mendes auf die Verbindung Samba und Rap. Dafür hat er sich die Rapper Common und Buddy dazu geholt. In den 14 Jahren seit der Rap-Version von „Mas Que Nada“ hat sich das Konzept etwas abgenützt, dennoch hat man das Gefühl, dass Mendes mehr draus macht als eine modische Zugabe für jüngere Konsumenten. Schon 1992 hatte er mit dem akustischen Rap „What Is This?“ auf dem Album „Brasileiro“ beeindruckend gezeigt, was man aus der Verbindung Samba und Rap machen kann. Auch beim Einsatz des kolumbianischen Reggaeton-Duos Cali y El Dandee vermittelt Mendes, dass er weiß, wie man selbst den kommerziellsten Allerweltskram einigermaßen akzeptabel macht.

Derartige Nummern sind natürlich nicht geeignet, alte Mendes-Fans zu binden. Aber trotz der Anbiederung an amerikanische Gesangsunsitten wie Melisma (Eiergesang) und Auto-Tune (Gesang mit Tonhöhensprung) sind auf jeder Mendes-CD einige Titel drauf, die so gut sind, dass man das erst mal hinbekommen muss. Vor allem, wenn man von brasilianischer Musik hohe Energie und Tanzbarkeit erwartet, dann ist man hier auch richtig. „Muganga“ mit seiner Frau Gracinha Leporace am Mikro, hat genau das. Ein toller Rhythmus vermischt sich hier mit funky Bläsern und dem typischen Brasil 66-Satzgesang, dazu knackige Perkussion. Derart packende Titel in diesem Stil bekommen seit langem weder Gilberto Gil noch Djavan hin. Ein ähnlicher Song ist „This Is It (É Isso)“ auch mit Gracinha Leporace im Unisono-Gesang zur Musik. Hier rappt Hermeto Pascoal mal auf seine eigene kratzige Art dazwischen. Neben ihm, so sagt Mendes verehrt er Bossa-Pianist João Donato, der auf „Muganga“ zu hören ist, und den brasilianischen Akustik-Gitarristen Guinga. Dieser dürfte in den USA kaum bekannt sein, insofern ist dessen Einladung eine Überraschung, die sich aber gelohnt hat. Der von Guinga vorgetragene Titel „Tangara“ (wieder mit Gracinha Leporace) ist der Abschluss und Höhepunkt des Albums. Es ist ein luftiges Tanzen auf den Saiten, ein Hauchen, ein summendes Singen, gefühlvoll und rhythmisch zugleich. Hier kommt auch die hervorragende Aufnahmequalität der Produktion besonders zum Tragen.

Der Rest des Albums hat neben Pop- und R’n’B-Songs sowie zuckrigen Balladen immerhin noch ein eingängiges Instrumentalstück namens „Romance in Copacabana“ vorzuweisen, bei dem der Meister am Klavier glänzt und das etwas an seine Frühzeit erinnert. Immerhin setzt Mendes nicht nur auf vielversprechende, meist amerikanische Nachwuchssänger, sondern vergisst seine brasilianischen Kollegen keineswegs. Man darf gespannt sein auf den demnächst folgenden Dokumentarfilm über Sergio Mendes, den Filmemacher John Scheinfeld („Chasing Trane: The John Coltrane Documentary“) drehte.

Nice Brazil – „Minhas Raizes“

Nice Brazil – „Minhas Raizes“GLM, Fine Music, Soulfood
Deutschland, Brasilien / Brazil Jazz

Nice Brazil, schöner Name, wird aber „nitse“ ausgesprochen. Die in Deutschland lebende Sängerin präsentiert Lieder in den bekanntesten Stilen Brasiliens, von Choro bis Samba mit Jazztouch. Das kommt am besten rüber, wenn sie ausgetretene Pfade verlässt. In „Pra Lá Pra Cá“ fliegt ihr beseelter Gesang über einen hypnotischen Rhythmus. Sehr schön ist der Kontrast zwischen perkussiven Sounds, der barocken Melodie und der Auflösung in freie Klänge in der Bearbeitung von Heitor Villa-Lobos‘ „Bachianas Brasileiras Nr. 5“, das ganz dem Geist des Stückes entspricht. Auch die Schönheit des Einfachen im Werk von Dori Caymmi hat sie in dessen Song „O Cantador“ gut erfasst.

Ricardo Richaid – „Travesseiro Feliz“

Ricardo Richaid – „Travesseiro Feliz“Far Out Recordings
Brasilien / Modern Tropicalismo

In letzter Zeit hat sich das Far Out-Label eher mit Reissues denn mit Neuerscheinungen hervorgetan. Jetzt wagt man voller Mut Neues, auch wenn es fast nach einer Wiederveröffentlichung aus den Sechzigern klingt. Die Musik Ricardo Richaids ist im besten Sinne Tropicalismo – er nennt sie „Industrial Tropicalismo“ – eine gewagte Mischung aus brasilianischer, psychedelischer, jazziger und rockiger Musik. Fordernd, gewöhnungsbedürftig einerseits, schillernd, unerwartet und eine Mischung aus dem Experimental Pop von CéU und dem Avantgarde-Rock von Os Mutantes andererseits. Zumindest hat man so etwas aus Brasilien schon ewig nicht mehr gehört, am ehesten noch von Tom Zé. Dunkles und Leichtes, Komplex-Jazziges und einfaches Kinderliedhaftes stehen hier nebeneinander, dazu kleine Miniaturen mit Low Fi-Electronic. „Largado Nu“ mixt z. B. sanfte Akustik-Gitarre und Flöte mit Synthesizer-Gewimmer und E-Gitarre. Auf jeden Fall gewinnt das Album beim Reinhören und verlässt ausgetretene Pfade.

Ibrahim Maalouf – „S3NS“

Ibrahim Maalouf – „S3NS“Mister IBE, V2 Records, Bertus
World Jazz

Auf dem Cover seines Albums klatscht der französisch-libanesische Trompeter und Pianist Ibrahim Maalouf in die Hände und verspritzt dadurch verschiedene Farben. Ein passendes Symbol für sein musikalisches Konzept, vereint er doch moderne, eher europäisch geprägte Jazzsounds mit orientalischer Intonation und kubanischen Gaststars. Zu denen gehören genau die Musiker, die in letzter Zeit noch am ehesten nach neuen Ansätzen in der kubanischen Musik gesucht haben wie die Violinistin Yilian Canizares und die Pianisten Roberto Fonseca, Harold López-Nussa und Alfredo Rodriguez. Seine kubanischen Freunde scheinen ihm sehr wichtig zu sein. Bereits im ersten Stück wird eine Rede von Barrack Obama eingespielt, als dieser versuchte, sich dem kubanischen Staat gegenüber wieder zu öffnen. Maaloufs Musik besteht zum Teil aus einfachen, etwas feierlich klingenden, fast fanfarenhaften Riffs. Nach dem Obama-O-Ton springen die Kubaner allerdings mit ihrer Emotionalität voll ins Ohr. So entsteht auch in anderen Stücken ein Kontrast zwischen der klar strukturierten Melodik und der Quirligkeit der Kubaner. Doch Maalouf kann auch anders und hat ebenso die Spielweise der Balkan Brassbands drauf. Insgesamt für Latin Jazz Fans ein interessanter Ansatz der gegenseitigen Befruchtung.

Santana – „Freedom“ (Re-Issue auf Vinyl)

Santana – „Freedom“Music on Vinyl, Bertus
Latin Rock

Für Latin- und Vinyl-Fans gibt es ab und zu auch was beim Label Music on Vinyl zu schnuppern wie das 1987er-Album „Freedom“ von Santana. In dieser Zeit hatte die erfolgsverwöhnte Band einen Tiefpunkt. Offenbar passte die eher emotionale Musik der Woodstock-Veteranen nicht mehr in die kühle Ästhetik der ausklingenden New Wave-Zeit. Carlos Santana versuchte es daher hier mit einem Kompromiss. Er holte altbewährte Bandmitglieder wie Schlagzeuger Graham Lear oder Sänger Buddy Miles in die Band zurück, gleichzeitig hört man aber typische Arrangements der 80er Jahre: Straighte Rhythmik mit dominanter, verhallter Snaredrum, Synthesizerklänge, dazu recht funkorientierte Stücke, geprägt durch die soulige Stimme von Buddy Miles und unterstützt vom Backgroundchor. Dadurch wirken viele Stücke zu konturlos. Die Latin-Perkussion und Santanas Gitarrensoli bestimmen nicht mehr den eigentlichen Sound, sind aber die Würze der Stücke, die andererseits äußerst druckvoll daherkommen. Santana gönnte sich danach eine Veröffentlichungspause, kehrte dann aber umso erfolgreicher mit „Supernatural“ zurück, weil er sich hier entschiedener dem Zeitgeist öffnete und keine Kompromisse mehr machte. Insofern wirkt „Freedom“ wie eine Übergangsphase, kein schlechtes Album, aber auch kein zeitloses.

Che Appalache – „Rearrange My Heart“

Che Appalache – „Rearrange My Heart“Free Dirt Records, Galileo
USA, Argentinien, Mexiko / Latin-Bluegrass-Crossover

Latin Music mal ganz anders. Diese Fusion aus Latin und Americana hat es in sich. Mit dem Instrumentarium der Bluegrass Music werden hier eine, dem Tango ähnliche uruguayische Murga, spanische Sephardenmusik oder Flamencoanleihen eingebracht. Die Musiker kommen aus den USA, Argentinien und Mexiko, gesungen wird Spanisch und Englisch. Natürlich ist auch Bluegrass drauf oder der a capella-Gesang des Mountain Gospels. Den tollen Satzgesang der Stanley Brothers hat das Quartett ebenso drauf. Aber es kommen immer neue Elemente dazu. Fiddler und Bandleader Joe Troop versteigt sich mal in jazzigen Swing, es wird auch mal in einen Blues verfallen, manche Stücke glänzen mit verschiedenen Sätzen und Tempi oder man leistet sich eine Kakophonie in einer Ballade. Und hier spielen Menschen zusammen, die man in den USA möglichst auseinanderdividieren will. Da überrascht nicht, dass die Themen der Songs von Immigration bis hin zu religiösem Fanatismus gehen.

Enrique Heredia Negri – „Bolero Solo“

Enrique Heredia Negri – „Bolero Solo“Karonte, Galileo
Kuba, Spanien / Bolero

„Bolero Solo“ heißt hier vor allem Piano und Stimme. Sänger Enrique Heredia Negri ist einer der innovativsten Flamencomusiker Spaniens, der sich aber auch in Popmusik und Jazz tummelt und er war einmal Mitglied der Band von Paco de Lucía. Er wird begleitet von Pepe Rivero, ein bekannter kubanischer Pianist. Durch die reduzierte Spielweise ist ein ausdrucksstarkes, fast meditatives Album entstanden. Heredias Gesang ist natürlich vom Flamenco gefärbt, die Wirkung ist der Stimme im Tango aber auch nicht unähnlich. Andere Stile wie Son oder Ranchera klingen an. Ab und an wird das Duo von Jazzbläsern unterstützt, die dem Ganzen eine leichte Barjazz-Note geben. Insofern durchaus abwechslungsreich.

Ibrahim Ferrer – „Buenos Hermanos“

Ibrahim Ferrer – „Buenos Hermanos“World Circuit, BMG
Kuba / Son, Bolero

Buena Vista und kein Ende. Nick Gold und Ry Cooder halten die Legende aufrecht und veröffentlichen weiter das bisherige Oeuvre in Edelfassungen. Diesmal ist es das Album „Buenos Hermanos“ von Ibrahim Ferrer aus dem Jahr 2003. Diese Ausgabe hat vier zusätzliche Titel als Anreiz für Konsumenten, die das Album schon besitzen und die laut Cooder angeblich damals vergessen wurden. Glaube das, wer will, wahrscheinlicher ist, dass ursprünglich sonst zu viele langsame Titel drauf gewesen wären und diese gestrichen wurden. Und natürlich gibt es das Album in CD-Buchform, als Vinyl-Doppelalbum und mit Kunstdruckcover in limitierter Auflage, zudem alles mit spanischen und englischen Texten. Über diese Vermarktungsweise mag man geteilter Meinung sein, was bleibt ist die Musik. Beim Wiederhören wird einem noch mal bewusst, dass Ferrers Musik von den ganzen Buena Vistas mit die stärksten Melodien hatte. Mit seiner relativ hohen Stimme legte er seine volle Inbrunst in die Songs. Die Musik bewegt sich zwischen Tanzen auf kubanische Art für die nicht mehr ganz so sportiven Hörer und Beschallung für die Hotellounge. Interessant ist das Titelstück mit einer wirklich orgelnden Orgel von Manuel Galbán und den krummhornartigen Tönen eines chinesischen Kornetts dazwischen. Für Buena Vista-Fans sicherlich eines der besten Reissues.

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Hans-Jürgen Lenhart schreibt als regelmäßiger Gastautor für das deutsche Lateinamerika-Magazin Latin-Mag. Er ist Musikjournalist und seit über 20 Jahren Experte für Latin Music. In der Artikelserie Latin Music News berichtet er alle zwei Monate über Neuerscheinungen in der lateinamerikanischen Musikszene.

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