Es ist Sommer und höchste Zeit für neue lateinamerikanische Klänge. Hier die neuesten Latin Music News:
Die passende Radioshow von DJ Hans findet ihr auf Mixcloud oder direkt hier:
Eva Jagun – „Transatlântico“
Jagun Records, Galileo Vertrieb
Deutschland, Schweiz / Brazil-Jazz
Man mag jetzt wirklich allmählich gerne in einen corona-reduzierten Sommer hineintanzen. Leichtbeschwingt geht das am besten mit Eva Jaguns neuem Album „Transatlântico“. Hier gibt es von der Berliner Sängerin mit ihrem Schweizer Partner Manuel Zacek angenehm zu hörenden Bossa Jazz, der allerdings dann am stärksten wirkt, wenn er sich von zu viel Easy Listening-Einschlag entfernt. Das geschieht denn auch zum Glück, so beim „Sahara Blues“ und einigen gitarrenlastigen, eher folkigen Stücken. Die Mischung aus Jazz, Pop und brasilianischen Grooves kennt man seit den Tagen von Brazilectro oder Nu Bossa, wenngleich hier das Niveau höher ist. Es gibt vergleichbare Acts wie Tom & Joy und Zeep, was dazu führt, dass man derartige Arrangements, die typisch europäisch zu sein scheinen, schon recht oft gehört hat. Eva Jagun macht ihre Sache jedoch gut und zeigt eben, dass sie auch mehr draufhat. Rhythmisch am interessantesten ist der Jazz-Samba „You Wanna“ und der Samba-Funk „Mr. Hó-Bá-Lá-Lá“, eine Hommage an Altmeister João Gilberto (auch wenn der nicht unbedingt für Funk stand).
Bruno Berle – „No Reino Dos Afetos“
Far Out Recordings
Brasilien / Singer-Songwriter
Es muss aber nicht immer alles perfekt produziert klingen, um schön wirken zu können. Bruno Berle aus Maceió, der Hauptstadt des brasilianischen Bundesstaates Alagoas an der Ostküste, legt bei seinen betörenden und anmutigen Songs eher Wert auf schlichte Arrangements, gelegentlichen Lo-Fi-Sound und einfachen Experimenten. Den Verzicht auf Hochglanzästhetik merkt man schon auf dem Cover von „No Reino Dos Afetos“, wo er irgendwie bekifft in die Kamera blickt. Vieles hört sich nach Heimstudio-Experimenten und Demobändern an, nur mit Gitarre, dezentem Gesang, manchmal etwas Keyboards und Drums oder einfach programmierten Beats realisiert. Dies dürfte ein gewollter künstlerischer Ausdruck und nicht unbedingt corona-verursachten Produktionsbedingungen in Brasilien geschuldet sein. Die derzeitige Generation der brasilianischen Liedermacher ist geprägt von eigenwilligen Sounds und manchmal gewagten Klängen sowie einer radikalen Schlichtheit, alles Momente, die die Ära der traditionellen brasilianischen Musikstile – außer vielleicht Tropicália – vergessen lassen. So wirkt das Stück „Beat 1“ wie von einer englischen Shoegazing-Band. Kein Wunder, Berle war auch Mitglied einer Soft-Rock-Gruppe namens Troco em Bala. In „Som Nyame“ kombiniert er eine O-Ton-Aufnahme aus einem Dorf mit einem Highlife-Rhythmus. Mit einfachsten Riffs, aber ergreifenden Harmonien erzeugt er in „Sereno“ eine perfekte melancholische Stimmung. Das Stück entwickelt sich aber erst allmählich. Der Gesang kommt dann kurz vor Ende und bricht, wie andere Songs auch, abrupt ab. Softe E-Gitarren-Improvisationen werden in „Virgina Talk“ mit Gesprächsaufnahmen gemischt. Zugleich wirkt das alles psychedelisch. Bruno Berles Songs suchen bewusst den Weg zwischen ungeschliffenem Edelstein, ergreifenden Melodien und unverbrauchter Klangästhetik.
Raf Vilar – „Clichê“
Abaju! Records, Broken Silence
Brasilien / Singer-Songwriter
Gar nicht mal so unähnlich zu Bruno Berle ist der brasilianische Singer/Songwriter Raf Vilar. Auch er singt sanftmütig, sozusagen das Gegenteil einer Rockröhre, zudem in hoher, fast femininer Tonlage. Seine Arrangements sind ebenfalls minimalistisch. Neben einem manchmal melodieführenden Bass reichen Percussion und etwas Keyboards meist aus. Allerdings gibt es hier keine Lo-Fi-Sounds, schon eher dagegen ambient-artige Klänge wie zu Beginn vom englisch gesungenen „So Have We“. Es gibt hier brasilianische Rhythmik und afrikanische Gitarrenläufe, dennoch wirkt die Musik wie in „Tenedor“ beinahe sakral, da es keinerlei Gefühlsausbrüche gibt und der Gesang relativ sonor ist. Voller unglaublicher Zartheit (und etwas emotionaler) ist seine Titelstück „Clichê“, welches allerdings erst zum Schluss kommt.
La Fanfarria del Capitán – „El Cantomanto“
Tropical Diaspora Records, Tropical Diaspora Records
Argentinien, Deutschland / Mestizo
Nu Bossa ist nicht vorbei und Mestizo wohl auch nicht, wenngleich neue Gruppen in dieser Richtung immer mal ein bisschen anders klingen. Die argentinische Band La Fanfarria del Capitán spielt einen eklektischen Mix aus Latin, Reggae, Rock und Balkan Pop und noch mehr. Das geht vom anfänglichen Schunkelfolk bis zu einem Disco-Titel oder a boarisches Liadl. Abwechslung kann gut sein, hat aber den Nachteil einer gewissen Profillosigkeit. Es mag damit zusammenhängen, dass vier der sechs MusikerInnen in Deutschland verstreut leben und da viele individuelle Interessen zusammenkommen. Das wirkt ein bisschen nach einer Reanimation früher Multikulti-Hippiebands wie z. B. Kaleidoscope in den 1960ern. Entscheidender mag sein, dass die Gesangsstimme für eine Mestizo- – oder wie auch immer – Band sehr sanft wirkt, zudem relativ zurückgemischt. Die Musik selbst ist manchmal treibend, insgesamt aber mit recht viel Hall versehen, was wohl als sphärischer Sound die dezente Stimme einbinden soll. Aus dem etwas zu verschiedenem Angebot der Band ragt am ehesten ein Wiegenlied aus den Anden heraus, „Plato del Día“, mit einer schönen Mitsing-Melodie und etwas Twäng-Gitarre.
Aquafaba – „Electric City“
Blue Whale Records, Record Jet
Deutschland, Chile, Brasilien/ Tropicalismo
Und jetzt haben wir noch eine weitere Truppe mit eklektizistischem Ansatz: Die Berliner Band Aquafaba, die von Cristóbal Rey (Chile) und Danilo Timm (Brasilien) geleitet wird. Sie macht den Eindruck eines hippieartigen Musiktheaters mit Ökotouch, aber es steckt doch etwas mehr dahinter. Musikalisch fällt vor allem auf, dass sie komplexe Gesangsstrukturen hat, manchmal sehr sphärisch klingt und ihre Musik zudem an Musicals erinnert. Die Texte sind auf Portugiesisch, Spanisch und Englisch und Aquafaba zeigt mit dem Album „Electric City“ auch ihre Bewunderung für die brasilianische Tropicália-Bewegung der 1960er Jahre. Anfangs fehlen etwas die prägnanten Melodien und Grooves, aber ihre vertrackten Arrangements fern irgendwelcher Modismen zwischen Folk und Rock wie bei „Alem Do Temporal“ erinnern tatsächlich an den Tropicalismo. „Moreré“ hat im Weiteren eine starke Melodie mit entspannter Atmosphäre und Rhythmik, gerät manchmal aber einen Schuss zu gemächlich. Der Höhepunkt kommt dann zum Schluss, eine flirrende Version von „Cucurrucucu Paloma“, eines der großartigsten lateinamerikanischen Lieder überhaupt. Aquafabas Fassung ist völlig anders arrangiert als viele der inbrünstigen klassischen Versionen von Harry Belafonte bis Freddy Quinn und einfach nur schön.