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Latin Music News #32 – Neue Musik aus Lateinamerika

Grazie Wirtti & Matías Arriazu – „Cacador De Infância“

Schön langsam wird es richtig kalt draußen – versuchen wir uns also mit lateinamerikanischen Klängen ein bisschen aufzuheizen. Hier die Neuerscheinungen der letzten zwei Monate:

Quique Sinesi – „Corazón Azur“

Quique Sinesi – „Corazón Azur“Acoustic Guitar, Rough Trade
Argentinien / Akustische Gitarrenmusik

Es ist immer wieder ein Genuss, südamerikanischen akustischen Gitarristen zuzuhören. Sie holen aus dem Instrument alles Mögliche heraus, sind virtuos, experimentierfreudig, aber genauso stimmungsvoll oder sehr rhythmisch. Auch Quique Sinesi, argentinischer Gitarrenvirtuose, trommelt zwischendurch auf den Saiten und dem Korpus oder lässt den Rhythmus galoppieren, aber er verliert sich nur selten in den reinen Fingerübungen, bringt immer wieder berührende Melodien hervor. Seine Musik ist eine Mischung aus südamerikanischer Folklore, insbesondere der Anden, Weltmusik und Jazz. Meist spielt er auf der 7-saitigen Gitarre, aber auch unter dem Einsatz traditioneller Instrumente wie Charango, Ronroco und der selten zu hörenden 10-saitigen und Fretless-Gitarre. „Gismontiana“ hat er – na, wem wohl – Egberto Gismonti und seiner Tochter Bianca gewidmet, typisch vertrackt und mehrere Klangebenen bietend. Viele der Stücke sind relativ kurz, was das Album aber abwechslungsreich macht.

Grazie Wirtti & Matías Arriazu – „Cacador De Infância“

Grazie Wirtti & Matías Arriazu – „Cacador De Infância“Carmo, ECM
Brasilien / Ethnojazz

Und eine weitere Entdeckung in dieser Richtung. Die brasilianische Sängerin Grazie Wirtti und der argentinische Gitarrist Matías Arriazu wurden wohl nicht von ungefähr von Brasiliens Gitarrenlegende Egberto Gismonti zu dieser Produktion eingeladen. Man merkt die musikalische Verwandtschaft sofort. Arriazu spielt eine achtsaitige Spezialgitarre und zeigt auf dieser, was man so alles herausholen kann: Vom fliegenden Akkordwechsel bis zu Glissandi auf der Basssaite, dem Meister Gismonti ebenbürtig. Wirtti ist eine ausdrucksstarke Sängerin, die an die Portugiesin Maria João erinnert. Sie nutzt das ganze Spektrum der Gesangeskunst, singt ungemein rhythmisch und synchron zur Gitarre, aber auch erzählerisch, als würde sie ein aufgeregtes Gespräch führen. Sie flüstert, haucht oder experimentiert mit dem Kontrast von abgehackten Silben und langen Vokalen. Perfekt sind die beiden in João Boscos „O Ronco Da Cuica“, eines der perkussivsten Gitarrenstücke überhaupt. Komplexe Kompositionen mit unterschiedlichen Tempi und Stimmungen prägen das Album. Höhepunkt ist „Verde Limão“, das mit Mouth Perkussion, Zuggeräuschen ähnlich, anfängt und endet. Dazwischen hört man die hohe Kunst einer längeren Improvisation auf einem Akkord, die nie langweilig wird.

Walter Gavitt Ferguson – „King Of Calypso Limonese – The Legendary Tape Recordings Vol. 2“

Walter Gavitt Ferguson – „King Of Calypso Limonese – The Legendary Tape Recordings Vol. 2“Bongo Joe
Costa Rica / Calypso

Der hochverehrte 100-jährige Sänger hat den Calypso in Costa Rica entscheidend geprägt. Als sein Dorf in den Siebzigern Strom bekam, kaufte er sich einen Kassettenrekorder, nahm Hunderte von Songs auf, verkaufte sie an Reisende, kopierte sie aber nie. In einer weltweiten Suche gelang es nun, viele der Kassetten zu finden und die Aufnahmen zu retten.

Yilian Canizares – „Erzulie“

Yilian Canizares – „Erzulie“Absilone, Galileo-mc
Kuba / World Music, Jazz

Die kubanische Sängerin und Geigerin Yilian Canizares wurde zuletzt von den Latin-Jazz-Stars Omar Sosa und Chuco Valdez durch Kooperationen gefördert. Diese nahmen ihre besondere Art nur zu gerne wahr, mit dem kubanischen Wurzeln einmal völlig anders umzugehen. Ja, man muss sogar sagen, Yilian Canizares sprengt jegliche Klischees, wie kubanische Musik klingen sollte und definiert sie für sich neu. Dies hat wohl damit zu tun, dass sie über den Umweg der klassischen Musik zum Jazz kam, dann ihre Gesangsstimme entdeckte und eine eher spirituelle Herangehensweise an ihre Wurzeln hat. Das Album ist Erzulie, der Göttin der Liebe, gewidmet und vermeidet streng, in irgendeine musikalische Schublade gesteckt werden zu können. Da treffen sich düstere Klänge und dynamische Jazzrhythmen, romantische Balladen und O-Töne. „Contradicciones“ beginnt sogar wie ein auf der Geige gespielter irischer Tanz und kippt plötzlich in swingende Jazztöne und wirbelnde Drums. Das Titelstück „Erzulie“ startet dagegen sehr psychedelisch, wandelt sich dann aber mit harten Trommelschlägen in Richtung dem ätherischen Dream Pop von David Lynchs Muse Chrysta Bell. Die Gottheiten Kubas haben einen eigenen magischen Sound, der hier durchs Album weht und in etwa das Gegenteil von Buena Vista-Klängen ist. Auch als Sängerin setzt Canizares eigene Marken. Sie flüstert oder singt unisono, entwickelt sirenenhafte Chorusse oder wagt auch mal eine bluesige Färbung. Traditionelle Rhythmen hört man nur als einen von vielen Momenten. Yilian Canizares hat eine höchst individuelle Klangwelt entwickelt, die sie schon jetzt aus der Masse der kubanischen Musiker hervorhebt und sie gibt der Geige in der kubanischen Musik eine neue Rolle. Ihre Klangwelt spielt sich auf einer kubanischen Metaebene ab.

Marcelo Mercadante Sextet – „La Llave“

Marcelo Mercadante Sextet – „La Llave“Karonte, Galileo-mc
Argentinien / Tango, Jazz

Marcelo Mercadante ist ein argentinischer Bandoneonspieler, der aber in Spanien lebt. Sein Tangospiel weist Einflüsse des Cooljazz auf, besonders durch die E-Gitarre Javier Feiersteins. Sängerin Analia Carril bewegt sich zudem irgendwo zwischen Tango und Jazz und hat ihre Stärken in melancholischen Balladen.

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Hans-Jürgen Lenhart schreibt als regelmäßiger Gastautor für das deutsche Lateinamerika-Magazin Latin-Mag. Er ist Musikjournalist und seit über 20 Jahren Experte für Latin Music. In der Artikelserie Latin Music News berichtet er alle zwei Monate über Neuerscheinungen in der lateinamerikanischen Musikszene.

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