Es gibt wieder eine neue Ausgabe der Latin Music News sowie die passende passende Radioshow von DJ Hans auf Mixcloud oder direkt hier:
ÌFÉ – „0000+0000“
Discos IFÁ, Mais Um Discos
Puerto Rico / Afro-kubanische Electronic Music
Afro-kubanische Rhythmen und Gesänge ins elektronische Tauchbad gesteckt hat die puerto-ricanische Formation ÌFÉ auf ihrem Album „0000+0000“, dessen Titel sich auf ein religiöses Symbol der Ifá-Ethnie bezieht, aber geschickter Weise auch nach digitaler Musik aussieht. Hinter ÌFÉ steckt ein gewisser Marc Underwood aus Indiana, der sich nach einer Priesterweihe der Ifá-Religion Otura Mun nennt und über Puerto Rico inzwischen in New Orleans gelandet ist. ÌFÉ erinnert in manchen Momenten an das Zawinul Syndicate, integriert aber auch Rap und R’n’B-Elemente. Es wird auf Congas genauso wie auf Electronic Drums mit Samples getrommelt, dazu kommen akustische Perkussion und Chorgesänge. Auf YouTube gibt es Live-Aufnahmen der Gruppe. Da wirkt die faszinierende und hypnotische Mischung stimmiger. Auf dem Album wurde in Richtung Elektronik vielleicht ein bisschen zu viel an den Reglern gespielt. Der Gesang ist fast vollständig per Autotuning gemorpht, was ihn manchmal schon nach indischem Gesangsstil klingen lässt. Gesungen wird neben Yoruba auf Englisch und Französisch. Etliche Gastmusiker sorgen für die Feinabstimmung der manchmal zu gleichmäßig wirkenden Stücke. Mit dabei sind neben zahlreichen Sängern sogar Perkussionist Bill Summers von Herbie Hancocks legendären Headhuntern. Trotz gewisser Überproduktion beamt das Album traditionelle Rumbarhythmen direkt in die Clubszene und verleiht Perkussionsmusik etwas Futuristisches.
Susana Baca – „Palabras Urgentes“
Real World Records, UMG
Peru / Folk
Aus Peru kommen relativ selten Veröffentlichungen zu uns. Dennoch zählt Susana Baca zu den großen Sängerinnen Lateinamerikas. Mit 76 Jahren hat sie nun ihr neues Album „Palabras Urgentes“ aufgenommen, welches musikalisch die angestaubte Ästhetik der Andenfolklore abgeschüttelt hat. Recht edel wirken manche Arrangements mit Streichern. Vieles lebt nur von ihrer Stimme und der Gitarre, lässt aber glücklicherweise übertriebene Inbrunst und Kampfgetöse dieses Genres wie in den Siebzigern vermissen. Vereinzelt gibt es Marimba- oder Harfenklänge oder ein unaufdringlicher Chor, die Produktion Michael League von Snarky Puppy ist zeitgemäß. Bacas Themen setzen sich mit Feminismus, Freiheitsbewegungen und Bildung auseinander. Seit 50 Jahren ist Baca nun aktiv. Sie war Lehrerin, bewahrte als Sammlerin das kulturelle Erbe der afro-peruanischen Bevölkerung, wurde 1997 von Talking Heads-Sänger David Byrne entdeckt und gefördert. 2011 übernahm sie sogar das Amt der peruanischen Kulturministerin und leitet heute ein Kulturzentrum.
Taykali – „Sur Tierra“
Brambus Records
Peru, Schweiz / Folk
Und noch ein weiteres Album mit peruanischer Musik, welches etwas moderner daherkommt. Durch seine Arrangements ist es in der Lage, Klischees von Andenmusik bei Hörern wegzuwischen, die diese Musik lange nicht gehört haben. Das liegt vor allem daran, dass die Musik manchmal große Ähnlichkeit mit modernen Flamenco-Alben und deren oft sehnsüchtigen Sounds hat, nur rhythmisch wesentlich relaxter und auch swingender daherkommt. Hinzu kommt der beinah soulig zu nennende Gesang der aus der Schweiz stammenden, aber dschungelerfahrenen Sängerin Laetitia Fontana, die zudem perfekte Gesangsharmonien dazu gesungen hat. Der peruanische Gitarrist Sergio Valdéos und der Perkussionist Cali Flores, die beide auch in der Schweiz leben, ergänzen das Trio. Dafür, dass dieses Album aus Gründen der Pandemie getrennt voneinander eingespielt wurde, wirkt es äußerst homogen. Das Wichtigste aber, es ist Andenfolklore, der jeglicher Staub vergangener Tage à la „El Condor Pasa“ abgeht, ohne groß das Instrumentarium verändert zu haben. Es wirkt sanfter, eleganter, weniger pathetisch und ist dadurch rückhaltlos empfehlenswert. Inhaltlich setzt es sich mit schamanistischen Heilungsritualen der indianischen Kultur auseinander.
Santana – „Blessings And Miracles“
BMG Rights Management (Warner)
USA / Latin Pop
Allgemein gilt Santana als Erfinder des Latin Rock. Beim neuen Album „Blessings And Miracles“ ist der Anteil dieser Stilrichtung allerdings fast nicht mehr zu erkennen. Der Wiedererkennungswert bezieht sich auf Carlos Santanas Gitarrensound, die Mehrzahl der Stücke haben aber mit Latin Rock so wenig zu tun, dass der Meister selbst wie ein Gaststar auf seinem eigenen Album wirkt. Tatsächlich ist es auch ein reines Allstar-Produkt, welches den Comebackerfolg seines 1999er-Albums „Supernatural“ zu wiederholen versucht: Ein bisschen Rockstar, ein bisschen Jazzvergangenheit, ein bisschen Rap, Metal, Oldies, Country, Psychedelic Rock, dazwischen manchmal Latin Percussion und viel Mainstream-Kitsch. Wenn Santana gemeinsame Sache mit Kirk Hammett von Metallica macht oder beim Chartgedaddel der Single „She’s Fire“ auf Nuschelsänger Rob Thomas und Softrapper G-Eazy setzt, fragt man sich schon, wie die Konsumenten damit umgehen. Würde ein Metal-Fan oder ein pubertärer Teenie das Santana-Album wegen der Zusammenarbeit ihrer Stars mit dem Meister kaufen oder umgekehrt sich ein altgedienter Santana-Fan solche Tracks mehr als einmal anhören? Tatsächlich läuft es ja wohl so, dass sich Konsumenten nur noch Einzeltracks in Spotify-Playlists zusammenstellen, und so kann es Carlos Santana egal sein, ob sein Album überhaupt als solches gewürdigt oder wahrgenommen wird. Die Vernetzung durch Kooperation mit Kollegen ist wichtig. So bleibt man im Gespräch.
Diese Strategie funktioniert, wie „Supernatural“ gezeigt hat. Mit Weiterentwicklung des eigenen Soundkosmos hat das nicht das Geringste zu tun, sondern ausschließlich mit Kasse machen und Basteln am eigenen Nimbus. Da zeigte Santanas Album „Afrika Speaks“ von 2019 wesentlich mehr Innovation, wenngleich es meist zu ungestüm daherkam. Sein jetziges Album wirkt dagegen wie eine Kompilation von bislang unbekannten durchschnittlichen bis peinlichen Aufnahmen von Gesangsstars, die den werten Carlos irgendwann gebeten haben, ein paar Takte seines typischen Gitarrensounds beizusteuern.
Man kann deshalb das Album ohne Gewissensbisse nach Tracks verschiedener Stilrichtungen, die kein gemeinsames Ganzes mehr ergeben, zerpflücken. Da gibt es die Reminiszenz an frühere jazzige Zeiten in „Angel Choir / All Together“ mit dem jüngst verstorbenen Chick Corea, den „Song For Cindy“ für diejenigen, die seine Schmusestücke á la „Samba Pa Ti“ lieben, austauschbares Flüstergeträller in „Breathing Underwater“, dann „Peace Power“, das klingt, als wäre Buddy Miles noch mal aus dem Grab gekramt worden, und mit „Break“ und Teeniestar Ally Brooke könnte der 74-jährige Carlos sogar versucht haben, mal in Bravo Girl zu landen. Alte Fans dürfte als einziges Stück „Santana Celebration“ und vielleicht „Rumbalero“ überzeugen, doch der Absturz wartet mit Procol Harums „A Whiter Shade Of Pale“ und Steve Winwood an den Vocals. Winwood passt zwar, aber man sollte bei einem solchen Klassiker entweder etwas völlig anderes, rhythmisch Wuchtiges draus machen oder die Finger von lassen. Zumindest braucht man das weitgehende Nachspielen wie hier wirklich nicht. Insgesamt also wenig Oldschool-Santana, dafür viel Sirup und Möchtegern-Gelärme. Rente gesichert, alles in allem aber verzichtbar.
Alex Malheiros – „Tempos Futuros“
Far Out Recordings
Brasilien / Brazil Jazz
Alex Malheiros kennt man als Bassisten der brasilianischen Samba-Funk-Jazz-Band Azymuth, die man eigentlich besser zum Smooth Jazz zählen sollte. Von Azymuths Sound unterscheidet sich Malheiros‘ Album „Tempos Futuros“ kaum. Den typischen, entspannt dahinfließenden Rhythmen und sanften Keyboardklängen fügt Malheiros auffälliger als sonst seinen Funkbass bei. Überhaupt ist die Musik etwas tanzbarer und gehaltvoller, als was man zuletzt von der Truppe gehört hat. Ins Schwitzen kommt man dabei dennoch nicht und die Sounds wirken manchmal trotz einigem spacigem Gezische sehr retro wie beim Vocodereinsatz in „Nikiti“. Letzterer Titel erinnert zwar etwas an den Funk von Johnny „Guitar“ Watson, ohne jedoch dessen Knackigkeit zu besitzen. Dazu fehlen den Stücken meist Höhepunkte. Wer Vocodersounds, alte Synthies, Syndrums und Discorhythmen immer noch liebt, ist hier allerdings gut aufgehoben. Ungebrochen jedoch bleibt die Treue des Labels an den Azymuth-Mitgliedern. Man hatte sie einst aus der Versenkung geholt und zum Basis-Sound des Hauses definiert. Zu den interessanteren Titeln gehören die, wo Malheiros bekannte Tochter Sabrina mitsingt oder mehr in Richtung Klanglandschaft gegangen wurde. Im Ansatz ähnliche Alben produzierten Airto Moreira und Flora Purim in den 1970ern, aber wesentlich aufregender. Für Fans ist der verstorbene Azymuth-Keyboarder José Roberto Bertami noch mal auf dem Titeltrack anhand einer erweiterten Demo-Aufnahme zu hören.
Juçara Marçal – „Delta Estácio Blues“
Mais Um Discos
Brasilien / Brazil Jazz
Immer wieder hat es in der brasilianischen Musik Beispiele gegeben, die zeigen, dass es eine experimentierfreudige Szene gibt, die mit Ideenreichtum und Wagemut besticht. Oft wirken ihre Alben überambitioniert und exotisch. Es hat sie aber immer gegeben, sie lassen nur wenig vom Image brasilianischer Musik übrig und sie tauchen häufiger auf, als man das erwarten würde. Auch das Album „Delta Estácio Blues“ der brasilianischen Sängerin Juçara Marçal ist ein solches Beispiel. Schwer einzuordnen, eine Art avantgardistische Mischung aus Breakbeats mit punkiger Einfärbung und traditionellen Bezügen sowie experimenteller Lyrik. Die musikalische Basis bilden Beats, die oft dissonant klingen, an Electro-Sounds früher New Wave-Gruppen erinnern, sich aber einer Tanzbarkeit entziehen. Eine Art futuristische Tribal Music. Die Beats wurden Komponisten und Textern geschickt, es ergab sich ein umfangreicher kommunikativer Prozess dazu, bis es zu den Gesangsaufnahmen kam. Das sperrige Klangbild ist der Soundtrack zum repressiven Klima Brasiliens. Man soll sich beim Hören der zunehmenden Atemnot im Lande nicht entziehen können. Hierzu verwendet man Beats, die für Rap charakteristisch sind, über die aber eine oftmals spröde Melodik gelegt wird. So gewöhnungsbedürftig die Musik ist, merkt man ihr doch den Willen an, sich von nichts vereinnahmen zu lassen und einen wirklich eigenen Weg zu gehen.
Tanguediaduo – „Astor Piazzolla – Soledad“
Visage Music, Galileo
Italien / Tango Nuevo
In der kleinen Besetzung Flöte und Gitarre hat das italienische Duo Tanguediaduo Musik von Astor Piazzolla so umarrangiert, dass man es fast für ein Klassikalbum halten könnte. Die gediegene Atmosphäre hat etwas Beruhigendes und lässt bekannte Stücke recht anders erklingen. 1995 formten sich Barbara Tartari und Claudio Farinone zu dem tangoverliebten Duo.
Zum Schluss noch ein kleiner Tipp für Kuba-Fans. Die Website der Agentur für kubanische Musikbands weiß auch sehr sachkundig über kubanische Musik zu informieren.
cuba-events.eu/blog/