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Klassiker-Album aus Brasilien: Gilberto Gil – „Parabolicamará“

Gilberto Gil – „Parabolicamará“

Gilberto Gil – „Parabolicamará“Gilberto Gil – „Parabolicamará“

Tropical Storm, Warner Music / 1991, 1999
Brasilien / MPB

Das Cover von „Parabolicamará” zeigt einen Korb, wie er von Brasilianerinnen auf dem Land auf dem Kopf getragen wird und der einer Parabolantenne ähnelt, angedeutet durch das digitale Muster im Hintergrund. “Parabolicamará” ist wiederum ein typisches Wortspiel von Gilberto Gil, dem bis heute vielleicht bekanntesten brasilianischen Musiker, ein Kunstwort, das man mit „Parabolantenne lieben“ übersetzen könnte. Die Satellitenschüssel als Tor zur Welt, der sich Brasilien nicht verschließt, womit auch die Landfrau an der Weltkultur beteiligt sein kann. Eine Metapher auf Gils Politik als späterer Kulturminister Brasiliens.

Dafür, dass das Album inzwischen schon fast ein Vierteljahrhundert alt ist, wirkt es äußerst zeitgemäß. Man kann aus verschiedenen Gründen “Parabolicamará” als Übergangsalbum bezeichnen. Die Öffnung der brasilianischen Musik zur internationalen Musik hin hatte Gil mit den Tropicalìstas in den Sechzigern durch die Elektrisierung der Instrumente und dem Einfluss der Beatmusik betrieben. Nun war es die moderne Medientechnik. Damals begann auch Gils politische Karriere als Kulturbeauftragter der Stadt Salvador und er kämpfte für die Erhaltung des historischen architektonischen Erbes der Stadt. Es war eines seiner letzten Alben, auf dem Titel mit ausgemachtem Hitpotential ausgemacht werden konnten, seine größten Hits lagen schon eine Weile zurück (besonders vertreten z. B. auf dem Album „Realce“ von 1979 wie „Todos Meninas Bananas“). Danach begann bei ihm eine Phase der Aufarbeitung seiner Einflüsse, verstärkt akustischer Musik, aber wandlungsfähig blieb er. “Parabolicamará” wirkt insofern heute mit mehr „elektrischen“ Anteilen versehen als die meisten seiner heutigen Alben. Wer den alten und den neuen Gil kennenlernen möchte, sollte deshalb vielleicht mit dieser Scheibe einsteigen.

Der Opener „Madalena“ ist nicht nur der beste Titel des Albums und Gils überhaupt, er arbeitet auch Gils Interesse an afrikanischer Musik auf und orientiert sich am kongolesischen Souskous im Gitarrenspiel. Sergio Mendes nahm mit Gil als Sänger den Titel später noch mal noch flotter auf seinem Album „Oceano“ auf, was sehr für den Titel spricht. Er ist ein Musterbeispiel dafür, dass politische Kommentare (hier zum Leben in den Favelas) und treibende Tanzmusik sich nicht ausschließen müssen. Das nächste Highlight ist „Buda Nago“, Gils bis heute schönstes Duett mit seiner Ex-Frau Nana Caymmi, der Tochter von Bahias Musik-Legende Dorival Caymmi und diesem auch gewidmet. Ein sehr hüpfender Rhythmus mit wunderschöner Melodie und passendem Wechsel der Stimmen. In „Serafim“ hört man das afrikanische Erbe Bahias heraus. Ein vertrackter Groove, der zeigt, was für virtuose Rhythmen die brasilianischen Schlagzeuger so aus dem Ärmel schütteln. Dazu eine schöne Flamenco-Gitarre und hallige Synthies. In „Quero Ser Teu Funk“ arbeitet Gil seine Funk-Phase auf, die man heute schmerzlich vermisst, denn hier zeigt er, wie gut er das konnte und eine eigene brasilianische Variante hinbekam. Lässig und heavy zugleich. In „O Fim Da Historia“ klingen noch ein bisschen die Arrangements der Achtziger heraus, aber sie dominieren nicht die schöne Melodie, sondern dynamisieren sie. Und „De Onde Vem O Baiao“ ist der vielleicht schönste Baiao, den er je aufgenommen hat, poppiger, sanfter und vor allem eleganter als seine expliziten Baiao-Alben später. „Falso Toureiro“ ist ein kurioser Mix aus Forró and Afro-Beat. Am Ende hört man Djavans Klassiker „Sina“ nicht ganz so intensiv wie bei Djavan, dafür macht es Gil sehr zu seinem eigenen Stück.

“Parabolicamará” zeigt Gil in all seinen Facetten und ist eines seiner besten Alben, hatte nur das Pech, in einer Phase (1991) veröffentlicht zu werden, als brasilianische Musik gerademal nicht so sehr international angesagt war. Einige Jahre später hatte sich das mit der Axé-Welle geändert und so kam das Album 1999 mit dem verkürzten Titel „Parabolic“ mehrfach neu heraus und somit auch nach Europa.

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Hans-Jürgen Lenhart schreibt als regelmäßiger Gastautor für das deutsche Lateinamerika-Magazin Latin-Mag. Er ist Musikjournalist und seit über 20 Jahren Experte für Latin Music. In der Artikelserie Latin Music News berichtet er alle zwei Monate über Neuerscheinungen in der lateinamerikanischen Musikszene.

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