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Neue Musik aus Lateinamerika im Sommer 2018 – Latin Music News #24

Trio ELF & Marco Lobo – „The Brazilian Album“

Bei den heißen Temperaturen zur Zeit sollte man auch die passende Musik parat haben. Hier die wichtigsten Neuerscheinungen lateinamerikanischer Musik:

Trio ELF & Marco Lobo – „The Brazilian Album“

Trio ELF & Marco Lobo – „The Brazilian Album“Yellowbird, Enja
Deutschland, Brasilien / Brazil Jazz, MPB

Das deutsche Jazztrio ELF hat sich schon länger mit dem brasilianischen Perkussionisten Marco Lobo zusammengetan und davon profitieren beide Seiten wie auch von den fünf brasilianischen Gast-Sängerinnen. Die Qualität des Albums lebt aber vor allem von der Kombination klarer, betörender Melodien mit sehr passenden Jazz-Improvisationen abseits von Bossa Nova-Klischees sowie einigen dezenten Electronica-Einflüssen. Vor allem aber gerät das Trio weder zu einer Begleitband der Sängerinnen noch verdrängt es diese mit seinen Improvisationen. Oft haben die Stücke einen besinnlichen Anfang, dann steigt die Sängerin ein und erst in der Mitte verstärkt sich der Jazzanteil, der allerdings immer dem Stück verhaftet bleibt und nie zu einer Virtuositätsschau wird. Am Ende vereinen sich dann die musikalischen Linien. Bei einigen Stücken entstehen Steigerungen mit funkigen Beats oder Dub-Effekten. Perkussionist Marco Lobo sorgt für eine unbewusst wirkende Atmosphäre mit Rhythmen und Klänge der spirituellen Musik Bahias. „Cordeiro De Nana“ mit Margareth Menezes ist dazu ein Beispiel, ein in beschwörendem Ton gesungenes Gebet, das mit geheimnisvoller Perkussion beginnt. In der Mitte löst das Stück sich in funkigen Beats auf, mit denen sich schließlich der Gesang wieder trifft. Von einigen der Sängerinnen wie Margareth Menezes oder Virginia Rodrigues hat man hierzulande lange nichts mehr gehört. Die Zeiten, dass derartige Größen mal wieder in Deutschland Konzerte geben, scheinen derzeit ziemlich vorbei zu sein. Neben diesen beiden sind Maria Gadú, Marlene De Castro und Jussara Silveira noch zu hören. Stimmungsmäßig orientiert sich die Musik manchmal am beseelten Stil von Maria Bethânia, wobei die Version von „Amor De Índio“ mit Maria Gadú hier derjenigen der Bethânia sogar vorzuziehen ist. Einziger Mangel: Leider gibt es keine Kennzeichnung auf dem Cover (nur im Display), wer bei welchem Stück singt.

Rea Som – „Arte Calma“

Rea Som – „Arte Calma“Unit Records, Membran
Schweiz / MPB, Jazz

Wenn brasilianische Musik außerhalb Brasiliens entsteht, dann hat sie meist eine ganz besondere Färbung. Dieses „außerhalb“ ist im Fall der Band Rea Som die Schweiz. Die Gruppe der schweizerischen Sängerin Rea Hunziker hat sich der brasilianischen Musik verschrieben. Sie entwickelte einen unprätentiösen, entspannten Sound zwischen Brasilien und Jazz, der recht angenehm wirkt. Stark wirken ihre Kompositionen immer dann, wenn sie gerade die übliche „Sängerin singt Bossa Nova“-Schiene links liegen lässt und andere Rhythmen und Arrangements versucht. Besonders mit dem Opener „Silêncio“ ist ihr eine berührende Melodie gelungen, die nach Zeitlosem klingt und zudem mit Perkussion und Berimbau gut auf das brasilianische Feeling einstimmt. Auch der Samba „Dancar“ kommt recht fröhlich und eingängig rüber. Manchmal aber verlangsamt sie einige Songs zu sehr mit zu vielen Pausen zwischen den Worten und auch ihr Reggae-Stück wirkt etwas holprig. Der Produktion fehlt zudem oft die Fülle und Dichte. So hört man die Gitarre meist weniger als Bass und Drums. Immerhin hat Rea Hunziker aber eine sehr eigene Herangehensweise an die brasilianische Musik bewiesen und vermeidet bekannte Vorbilder zu imitieren.

Los Texmaniacs – „Cruzando Borders“

Los Texmaniacs – „Cruzando Borders“Smithsonian Folkways, mc-galileo
USA, Mexiko / Tex Mex, Conjunto

Wer Tex Mex Music in seiner urtümlichen Art (ohne E-Gitarre) und wilde Akkordeon-Polkas mag, ist hier goldrichtig. Los Texmaniacs spielen und singen und bringen es auf den Punkt, was die amerikanisch-mexikanische Grenze trennen will: Hier existiert eine kulturelle Einheit. Entsprechend findet man neben der mexikanischen Conjunto Musik Songs von Woody Guthrie wie sein „Deportee“ oder „Across The Borderline“, das auch schon Ry Cooder bekannt machte. Für Wissbegierige sind die Stile auf dem Cover pro Stück mit angegeben. Die Gruppe ist quasi die Nachfolgeband der legendären Texas Tornadoes (mit Doug Sahm und Flaco Jimenez). Ein Album mit einer deutlichen politischen Botschaft, aber auch mit einer packenden Tanzmucke.

Harold López-Nussa – „Un Dia Cualquiera“

Harold López-Nussa – „Un Dia Cualquiera“Mack Avenue, in-akustik
Kuba / Jazz

Aus der Reihe hochtalentierte kubanische Pianisten, Folge 1010: Harold López-Nussa. Dieser startet sein Album mit einer Tour de Force, mischt ein paar Sekunden Blues-Touch rein. Im Laufe der Stücke zeigt sich, er kann auch schmeichlerisch, verspielt, sich bremsend, wieder Tempo gebend sein. Wo andere mit einem sich im Tempo steigernden Walzerrhythmus aufhören würden, ist dies bei ihm nur ein Zwischenspiel, nach dem er gleich wieder von vorne beginnt. Bei den stürmischen Stücken versucht er nicht, den Drummer zu ersetzen, er bleibt vielmehr melodiös, setzt einen Gegenpol zur vibrierenden Rhythmik, für die sein Bruder Ruy Adrián López-Nussa sich als gleichrangige Koryphäe beweist. Dritter im Bunde ist Bassist Gaston Joya. Wenn Harold López-Nussa mal beide Kollegen weglässt, zeigt er aber, dass die Dynamik seines Spiels nicht von der Rhythmusgruppe abhängt. Einzig seine Version des Klassikers „El Cumbanchero“ wirkt etwas zu schnell aus der Hand geschüttelt.

Okonkolo – „Cantos“

Okonkolo – „Cantos“Big Crown Records, Groove Attack, The Orchard
Kuba, USA / Santería-Crossover

Wer von kubanischen Trommelrhythmen spricht, sollte nicht unterschlagen, dass deren Urform aus den Ritualen der Santería kommt, der synkretistischen Hauptreligion auf Kuba. Zu beschwörenden Ruf-Antwort-Gesängen werden hierbei die Batá- und Coro-Trommeln geschlagen. Diese Rhythmen hört man oftmals als Einleitung zu kubanischen Jazzstücken. Das Muster dieser Musik ist allerdings sehr ähnlich, wenngleich so ein Ritual einen hohen Erlebnischarakter hat. Der Schlagzeuger und yorubische Shango-Priester Abraham „Aby“ Rodriguez aus New York hat deshalb diese Musik um weitere Instrumente wie Saxophon, E-Gitarre, Klarinette, Orgel oder Streicher erweitert. Allerdings ist dies nur eine partielle Klangbereicherung. Eine Inspiration der zusätzlichen Instrumentalisten durch die Santería-Musik mittels Improvisationen wie im Jazz findet kaum statt. Manchmal bekommt das Zusammenspiel leicht minimalistische Züge, aber es entstehen keine musikalischen Kicks oder Höhepunkte. Als Idee insofern begrüßenswert, aber man hätte mehr draus machen können.

„Havana Cultura: ¡Súbelo, Cuba!“

„Havana Cultura: ¡Súbelo, Cuba!“Verschiedene Künstler
Brownswood
Kuba / Electronica

Ja, Kuba kann auch noch mal anders klingen. Die Kompilation „Havana Cultura: ¡Súbelo, Cuba!“ zeigt den musikalischen Untergrund Kubas und wurde mit Hilfe des bekannten britischen DJs Gilles Peterson sowie Will LV und DJ Jigüe zusammengestellt. Es ist eine Mischung kubanisch und afrikanisch geprägter Rhythmen mit elektronischen Klangexperimenten, Hip Hop und Spoken Words. Eins ist es aber nicht: Ein Remix bekannter Muster kubanischer Musik oder das Ansinnen, Salsa-Nummern mit einem Beat zu verstärken. Hier wird eher selbst mal was auf Drums eingespielt und nach wilden Klängen dazu gesucht. Auf jeden Fall will man anders klingen als das was man mit Kuba bislang verbindet, will vielmehr eine eigene Verbindung entstehen lassen. Negro WadPro setzt zu nervösen Bongo-Rhythmen einen fiependen Drehkondensator so ein, dass er an die brasilianische Reibetrommel Cuìca erinnert. João P Glagarto versteht es, archaische kubanische Rhythmen recht tanzbar rüberzubringen. Yasek Manzano unterlegt sein jazziges Trompetenspiel mit vertrackten Beats aus Perkussion, Berimbau und Orgeltönen. Am überzeugendsten ist die Sängerin Luz de Cuba, die zu galoppierenden Rhythmen äußerst expressive Spoken Words deklamiert. Die repetetiven Beats erinnern nach einer Weile gar an Philipp Glass‘ Minimal Music. Das schafft eine Ahnung, wie die kubanische Musik der Zukunft klingen kann.

Orlando „Cachaito“ López – „Cachaito“

Orlando „Cachaito“ López – „Cachaito“World Circuit Records, Indigo
Kuba / Jazz, Son

Die originalen Musiker des Buena Vista Social Club (BVSC) sind weitgehend verstorben. Bevor die für weltmusikalische Verhältnisse phänomenale Einnahmequelle endgültig zu versiegen droht, versucht sich deren Label seit kurzem an Wiederveröffentlichungen der damaligen Sessions. Von all diesen ist diejenige des BVSC-Bassisten Cachaito Lopéz es am ehesten wert, in einer edlen Fassung neu als 180g-Vinyl-LP mit Booklet und Download-Code herausgebracht zu werden. Sein 2001 aufgenommenes Album ragte als einziges im BVSC durch ein zukunftsweisendes Konzept heraus und lockte damit auch Hörer an, die das Son-Revival irgendwann zu modisch fanden. Die Stücke grooven unaufgeregt, aber dennoch packend vor sich hin. Cachaitos Bass und gleich vier Perkussionisten bestimmen den Sound. In „Tumbaio No 5“ zeigt Cachaito seine Verehrung für Charles Mingus. Der experimentierfreudige, 2006 verstorbene Perkussionist Miguel Angá Díaz liefert sich hier Duette mit Cachaito. Rafael „Jimmy“ Jenks spielt dazu einen inspirierten Saxofon-Part. Doch bevor das Ganze zu sehr in Jazz abdriftet, sind im Album unerwartete Dub-Delays zu hören oder es wird vom französischen DJ Dee Nasty gescratched und gesampled. Fast schon psychedelisch mit Hammondorgel und E-Gitarre klingt „Anais“. Insgesamt wurde auch ein beträchtlicher personeller Aufwand mit Gastmusikern betrieben. Ex-James-Brown-Saxofonist Pee Wee Ellis arrangierte die Bläsersätze, Hugh Masakela am Flügelhorn oder Manuel Galban an der E-Gitarre sowie der Einsatz von Streichern runden das Klangbild ab. Dennoch bleibt immer der Eindruck einer Jam Session mit vielen überraschenden Momenten.

„Culture (Tribute) – Remembering Joseph Hill“

„Culture (Tribute) - Remembering Joseph Hill“Verschiedene Künstler
VPAL, Penthouse
Jamaika / Roots Reggae

Joseph Hill war Bandleader, Sänger und Komponist der Roots Reggae-Legende Culture. Der renommierte Produzent Donovan Germain hat nun ein Tribute-Album zusammengestellt und damit einen durchaus wichtigen, wenn auch bei uns nicht zu bekannten Reggae-Musiker dem Vergessen entrissen. Seine Texte waren durchaus konkreter als der Schnitt der im Reggae verwendeten gesellschaftskritischen Parolen und seine Melodien hatten eine bemerkenswerte Eingängigkeit. Er gründete Culture 1976 und verstarb am 19. August 2006 überraschend an einem Herzinfarkt in Berlin während einer Europatournee. Auf zwei CDs spielen u. a. Queen Ifrica, Marcia Griffiths, Tarrus Riley, Gyptian, Kenyatta Hill (der Sohn von Joseph Hill), Etana, Duane Stephenson, die Deejay-Veteranen Trinity und Tony Rebel seine Songs. Donovan Germain steuerte zusätzlich eine Archivversion von „Natty Never Get Weary“ bei, auf der Joseph Hill in Kombination mit Buju Banton zu hören ist. Insgesamt guter alter Roots Reggae, der die Originale würdigt anstatt sie aufzumotzen und gut ins Ohr geht.

Und da wären noch:

Sones Jarachos De Veracruz Por Grupo Mono Blanco – „Fandango“

Sones Jarachos De Veracruz Por Grupo Mono Blanco – „Fandango“Smithsonian Folkways Recordings, mc-galileo
Mexiko

Ländliche Volksmusik aus der Gegend von Veracruz in Mexiko mit traditionellen Saiteninstrumenten.

Emilio Santiago – „Emilio Santiago“

„Emilio Santiago“Far Out Recordings
Brasilien / MPB

Bei Wiederveröffentlichungen geht das Reaktionsspektrum meist zwischen „Das war noch tolle Musik!“ bis „Hätte jetzt nicht unbedingt sein müssen!“. Far Out Recordings gräbt in letzter Zeit immer mehr brasilianische Raritäten aus und Emilio Santiago pendelt sich ungefähr in der Mitte beider Urteile ein. Sein Debut von 1975 beginnt mit „Bananeira“ einer Nummer von João Donato und Gilberto Gil und hat das Zeug zu einem Klassiker ähnlich der großen Hits von Gil. Danach zeigt Santiago zwar erstaunliche Vielseitigkeit, singt auch mal in Englisch, bringt ein gutes Salsa-Stück und liefert noch andere brauchbare rhythmische Stücke ab, er versuchte sich aber auch an von Geigen verzuckerten Balladen, die heute etwas angestaubt wirken.

Bacao Rhythm & Steel Band – „The Serpent’s Mouth“

Bacao Rhythm & Steel Band – „The Serpent's Mouth“Big Crown Records
Deutschland / Steeldrum-Music, Clubmusic

Dass Steel Drum-Musik aus Trinidad kommt, weiß man gemeinhin. Die Bacao Rhythm & Steel Band hat ihre Basis in Deutschland und pflegt auch eine ganz andere Herangehensweise. Sie mischt Steeldrum-Musik und relaxte Clubmusic-Rhythmen. Zu den Steeldrums mischen sich Schlagzeug und manchmal auch Bläser. Die Spezialität der Truppe sind Coverversionen wie z. B. „I Love You“ von Mary J. Blige oder die Titelmusik von „Miami Vice“. Aber man spielt auch eigene Songs. Origineller Kick für die doch etwas angestaubte Steel Drum-Musik abseits von Werbespotuntermalung und Touristen-Musik.

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Hans-Jürgen Lenhart schreibt als regelmäßiger Gastautor für das deutsche Lateinamerika-Magazin Latin-Mag. Er ist Musikjournalist und seit über 20 Jahren Experte für Latin Music. In der Artikelserie Latin Music News berichtet er alle zwei Monate über Neuerscheinungen in der lateinamerikanischen Musikszene.

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