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Aktuelle lateinamerikanische Alben in den Latin Music News #14

Bossa Negra – „Brazilian Essence“

Es ist mal wieder Zeit für eine aktuelle Übersicht der neuesten lateinamerikanischen Musik-Alben auf dem Markt – vielleicht ist ja etwas für Weihnachten dabei?

Bossa Negra – „Brazilian Essence“

Bossa Negra – „Brazilian Essence“Freelance United Music, in-akustik
Brasilien, China / MPB

China wird im Welthandel immer stärker. Das muss auch diese Kolumne berücksichtigen. Deshalb geht es ab jetzt mal um chinesische Bands. Spaß beiseite, aber bei Bossa Negra handelt es sich tatsächlich um ein chinesisch-brasilianisch-australisch-singapurisches Kooperationsprojekt. Der in Hong Kong geborene, aber australische Produzent Howard Lee hatte nach einem mehrjährigen Brasilien-Trip das Bedürfnis, brasilianische Musik in China populär zu machen. Dazu griff er in die Vollen. Es gelang ihm mit Hilfe des brasilianischen Bassisten und Produzenten Sérgio Luiz Brandão eine Art All Star Band brasilianischer Musiker vom Feinsten zusammenzustellen und dazu Sängerinnen und Sänger aus dem pazifischen Raum zu engagieren. Auf der World Expo 2010 in Shanghai präsentierte sich die Band tatsächlich erfolgreich und beim Reinhören staunt man nicht schlecht. Das Album präsentiert brasilianische Musik fetzig, virtuos und auf hohem Niveau. Doch es sind eigentlich zwei Alben. Eine CD stellt die Titel auf Mandarin mit der Sängerin Joanna Dong aus Singapur vor und die andere CD hat weitgehend die gleichen Titel und Einspielungen auf Englisch mit der Sängerin Jaqueline Gawler aus Australien. Auf beiden CDs gibt es aber auch Einlagen, einerseits gesanglich in der jeweils anderen Sprache sowie auf Portugiesisch, andererseits durch den Einbau chinesischer oder australischer Instrumente. Die Produzenten haben sich also was einfallen lassen und das macht das Album allein schon zu etwas Einmaligem.

Die Musik orientiert sich am Sound und an der Titelauswahl oft an Sergio Mendes, vor allem was die Vokalarrangements betrifft. Vergleichsweise hat Bossa Negra jedoch mehr Funk- und Jazzelemente. Da klingt aber auch die Musik von Djavan oder der New York Voices an, eine Menge Funk und R & B. Das ist griffig, sehr professionell eingespielt und trotz deutlicher Vorbilder geht das Projekt musikalisch einen individuellen Weg. So tönt Jorge Bens „Taj Mahal“ mehr nach R & B denn nach Brasilien und es gibt auch ein paar nicht-brasilianische Titel wie „Down Under“, das eigentlich ein Cover von Bluelagoons Reggaehit „Break My Style“ ist. Bei einigen Titeln wird auch voll auf die Trommeln gehauen. Vielleicht eine Hommage an Howard Lees Hong Kong Bloco, der ersten Samba Trommlergruppe in Hong Kong!

Die Besetzungsliste des Projekts lohnt eine Betrachtung. Da gibt es den brasilianischen Popstar Jorge Vercillo, der wie eine Inkarnation von Djavan klingt. Und Djavans Keyboarder Renato Fonseca ist denn auch mit von der Partie. Luiz Brasil, wirklich kein Unbekannter in Brasilien, ist dabei sowie Marco Brito, der Pianist von Ivan Lins. Oder Armando Marçal, einst Perkussionist bei Pat Metheny und schließlich die Samba-Legende Tia Surica, um nur einige zu nennen. Insgesamt präsentiert sich hier ein verblüffendes Projekt, das man wirklich als Überraschung bezeichnen muss. Und Sergio Mendes‘ „The Frog“ mal auf Chinesisch zu genießen, ist schon mal einen Hinhörer wert oder?
Text

Carminho – „Carminho Canta Tom Jobim“

Carminho – „Carminho Canta Tom Jobim“Warner Music
Portugal, Brasilien / Fado, Bossa Nova

Und dann gleich noch mal ein ungewöhnliches internationales Projekt in Verbindung mit Brasilien. Portugal, das sprachliche Mutterland Brasiliens, besinnt sich musikalisch relativ selten seiner ehemaligen Kolonie, doch jetzt kam es einmal zu einer portugiesisch-brasilianischen Kooperation. Anlass war, dass am 25.01.2017 Brasiliens Komponisten-Ikone Antonio Carlos Jobim 90 Jahre alt geworden wäre. Seine Familie regte dazu an, dass die portugiesische Fado-Sängerin Carminho das Repertoire Jobims würdigen sollte. Bei den Aufnahmen wurde sie von der Banda Nova, Jobims letzter Live- und Studioband begleitet. Dort spielen Jobims Sohn Paulo und sein Enkel Daniel mit dem bekannten Cellisten Jaques Morelenbaum sowie Drummer Paulo Braga. Das Album ist eine Kombination aus weltbekannten und weniger verbreiteten Songs Jobims. Dazu kommen drei Duette mit den brasilianischen Stars Marisa Monte, Maria Bethânia und Chico Buarque. Gerade hierbei merkt man im Vergleich des brasilianischen Gesangs mit dem Vokalstil des Fado, dass bei Carminho die Stücke eine ganz andere Wirkung bekommen. Sie singt mit deutlichem Vibrato, kommt intensiver, klarer, schärfer und lauter in der Intonation rüber. Der Gesang im Bossa Nova ist dagegen relaxed und cool oder zumindest weicher. Insofern vermitteln sich die Interpretationen von Carminho noch mal anders als jegliche Jazzversionen von Jobims Klassikern. Die Begleitung bleibt dennoch meist dem Swing des Bossa Nova verhaftet. Allerdings geraden manche Songs auch zu intimen Balladen und entfernen sich damit weit von den orchestralen Arrangements, zu denen Jobim ja auch tendierte. So jedenfalls dürfte man Jobims Werk noch nicht gehört haben.

Victor Hugo Villena Trio & Kay Sleking – „Tango“

Victor Hugo Villena Trio & Kay Sleking – „Tango“Ruta Records, Galileo
Tango

Ein Album schlicht „Tango“ zu nennen, ist schon etwas gewagt. Dennoch kein falscher Titel, denn Bandoneonspieler Victor Hugo Villena hat hier den Tango auf den Punkt gebracht. Es ist zudem eine Rückkehr zum Eigentlichen, nachdem der Musiker sein Spiel in äußerst verschiedenen Projekten und Genres – unter anderem bei der Electro-Tango-Gruppe Gotan Project – ausprobiert hat. Dazu konnte er den bedeutenden niederländischen Tangogitarristen und Kontrabassisten Kay Sleking gewinnen. Für Liebhaber des virtuosen Tango-Spiels ein Schmaus, aber eben auch nicht mehr.

Otros Aires – „Perfect Tango.“

Otros Aires – „Perfect Tango.“Galileo
Argentinien / Electro-Tango

Eine Steigerung von „Tango“ könnte der „Perfect Tango.“ sein, so das neue Album von Otros Aires. Unter den Electro-Tango-Bands zählte das Projekt bisher nicht zu den radikalsten. Die Würdigung der Tango-Tradition klang bei der Gruppe immer durch. Auf dem neuen Album geht die Band allerdings einen Schritt Richtung Popmusik. Auffallend ist die einfache Struktur der Stücke und die Betonung des Songcharakters, beides eben Merkmale von Pop. Die Elektronik wird zwar nicht übertrieben, ist aber immer vorhanden in Form knackiger, programmierter Rhythmik oder in der Klangverfremdung des Gesangs. Der Tango wird oft auf sein Skelett reduziert, dadurch aber die Klarheit der Melodie betont. In manchen Momenten erinnern die Arrangements erstaunlicherweise an die lasziven Popballaden einer Amanda Lear. Weitere Elemente der Annäherung sind beispielsweise ein begleitender Hintergrundchor oder ein untergemixter Reggae-Rhythmus, einige Titel werden zudem in Englisch statt Spanisch gesungen und dabei auch einmal die charttypische Sängerin Meghan Kabir eingesetzt. Solistische Ausflüge gibt es fast keine, dafür das Spiel mit den Versatzstücken des Tangos. Dies alles sorgt dafür, dass aus dem Electro-Tango tendenziell ein Pop-Tango wird. Für die Tango-Traditionalisten kann dies erneut eine Herausforderung bedeuten, auf die man gespannt sein darf. Dennoch fehlt der Musik wiederum einiges, um tatsächlich als Mainstream-Pop durchzugehen: der Bombast, die Klangfülle, z. B. durch Stringsounds, das höhere Tempo und die Flüssigkeit des Rhythmus. Die Kompositionen sind sich außerdem manchmal zu ähnlich, was aber der Reduktion auf Tango-Versatzstücke geschuldet sein mag. Dennoch ist „Perfect Tango.“ noch mal eine Weiterentwicklung der bisherigen Ideen der neuen Generation im Tango und hat die Chance, auch außerhalb des Genres Zuhörer zugewinnen.

Die Neuorientierung ist unter anderem Ergebnis eines Songwritertreffens beim legendären Produzenten Miles Copeland mit Musikern, Künstlern und Produzenten aus Electro, Pop und dem Dancebereich, an dem Otros Aires-Mastermind Miguel Di Genova 2013 teilnahm. Ob damit der „Perfect Tango.“ geschaffen wurde, bleibt abzuwarten.

Klazz Brothers & Cuba Percussion – „Tango Meets Cuba“

Klazz Brothers & Cuba Percussion – „Tango Meets Cuba“Sony Music, Sony
Deutschland / Tango-Latin-Fusion

Der Tango ist allen Vorurteilen zum Trotz vielseitig. Das beweisen auch die deutschen Klazz Brothers. Sie versuchen mal wieder eine Brücke zu schlagen zwischen in diesem Fall kubanischer Musik und einem Genre, das man gemeinhin weniger damit in Verbindung sieht, eben dem Tango. Doch hier eine fehlende Brücke zu sehen, die es erst zu bauen gilt, täuscht. Die Melodik des Tangos basiert beispielsweise auf der kubanischen Habanera. Und die Milonga, aus der der Tango seine Choreografie bezieht, war ursprünglich genauso afrikanisch geprägt wie die Rhythmen der kubanischen Musik. Beide Stile sind zudem emotional, der Tango eher im Pathos und der Dramatik, die kubanische Musik in Rhythmus, Dynamik und Tempo. Der Tango hat oft zackige Rhythmen, die kubanische Musik flüssigere. Das zu verbinden, mag erst einmal eine große Aufgabe gewesen sein. Aber etwas passend zu machen, damit hatte das Trio bislang nie Probleme.

Auch falsch ist im Grunde bei den Klazz Brothers von einem Trio zu sprechen. Die gewollte Verbindung geschieht einerseits durch die Gäste Alexis Herrera Estevez (Timbales) und Elio Rodriguez Luis (Congas) aus Kuba sowie Alexander Pankow, der die russische Form des chromatischen Knopfakkordeons, das Bajan, spielt. Zudem sind die Klazz Brothers eigentlich ein Duo – Kilian Forster (Kontrabass) und Tim Hahn (Schlagzeug) – mit über die Jahre wechselnden Pianisten, in diesem Fall dem Deutsch-Kolumbianer Bruno Böhmer Camacho, der seit 2010 dabei ist. Letzterer ist im stilistischen Crossover recht geübt.

Die Verbindung gelingt den sechs Musikern, indem die Tangos geradliniger gespielt werden, die Perkussionisten sich in kurzen Breaks einbringen und von den Tango-Kompositionen oft der Melodie ein kubanischer Rhythmus unterlegt wird sowie gegen Ende meist wie im Salsa gemeinsam gesungen wird. Die Rhythmik ist flüssiger als im Tango, Perkussions-Soli werden eingebaut, wenn eine Phrase wiederholt wird. Ab der Mitte des Albums fährt man das Konzept etwas zurück, hier erklingt eher reiner Tango als kubanische Trommeln, was fast schade ist. Dann kommt aber noch mal eine Überraschung mit dem „Kriminal-Tango“. Die Interpretation der Gruppe lässt diesen Schlager völlig zu lateinamerikanischer Musik werden und die Hazy Osterwald-Fassung wird nur ansatzweise zitiert, was aber gerade fasziniert. Da wünscht man sich fast noch, dass „Tanze mit mir in den Morgen“ von Gerhard Wendland ins Repertoire gefunden hätte.

Man mag den Klazz Brothers verzeihen, dass sie sich wieder die populären Perlen des Genres („La Cumparsita“, „Libertango“, „El Choclo“) rausgepickt haben. Aber das ist vielleicht gerade gut, um Latin Music einem anderen Publikum zu vermitteln, was ihnen ja ursprünglich mit Klassik in Verbindung mit lateinamerikanischer Musik und Jazz hervorragend gelang, denn inzwischen ist das Projekt ein weltweit gut gebuchtes Konzertereignis. Auch wenn ihr Ansatz manchmal kommerziell wirkt, muss man der Gruppe bescheinigen, dass ihr hochinteressante Verbindungen gelingen und sie nicht müde wird, immer wieder neue Herausforderungen zu suchen.

Renato Borghetti Quarteto – „Gaita Na Fábrica“

Renato Borghetti Quarteto – „Gaita Na Fábrica“Saphrane, Galileo
Brasilien / Akkordeon

Zum Tango gehört die Milonga, aber die gibt es auch in Brasilien. Im Süden Brasiliens werden Stile gespielt, die man eher aus Argentinien kennt, wie Milonga und Chamamé. Dazu kommen Rhythmen wie Vaneira oder Xote. Hier, im Bundesstaat Rio Grande do Sul, sind die Gauchos zuhause und das bevorzugte Instrument ist das Diatonische Akkordeon, das „gaita ponto“. Einer der hervorragendsten Vertreter dazu ist Renato Borghetti, ein flinker Finger mit durchaus gediegener Besetzung wie Querflöte / Saxophon, Klavier, akustische Gitarre. Er zeigt auf dem meist als quirlig empfundenen Instrument, dass er auch besinnlich oder Dissonantes spielen kann, wenn es typisch für den Stil ist. Eine fröhliche und vibrierende Musik, die Jazzimprovisationen beinhaltet.

Roberto Fonseca – „ABUC“

Roberto Fonseca – „ABUC“Impulse Records, Universal Music
Kuba / Latin Jazz

Tango und kubanische Musik zu kombinieren, wäre vielleicht auch was für Kubas neuen Vorzeigepianisten Roberto Fonseca. Dass kubanische Musiker ausgezeichnete Handwerker sind, ist nichts Neues. Die wirklich guten zeichnen sich vor allem dadurch aus, ständig über den Tellerrand hinauszuschauen und mit unverbrauchten Ideen immer wieder zu überraschen. Roberto Fonseca gehört auf jeden Fall zu diesem Typus. Er kooperierte mit afrikanischen Musikerinnen wie Fatoumata Diawara oder Mayra Andrade, die traditionelle kubanische Musik ist für ihn als ehemaliges Mitglied des Buena Vista Social Clubs genauso eine Selbstverständlichkeit wie Hip Hop-Stücke oder klassische Musik einzubauen. Den Albumtitel „ABUC“ lese man mal rückwärts, dann versteht man das Konzept des Albums. Es ist eine Reise rückwärts und vorwärts in Kubas Musikgeschichte. Insofern hört man einerseits die musikalische Vergangenheit Kubas mit Mambo, Cha Cha Cha, Danzón und Bolero, aufgenommen in genau dem Klang der Goldenen Ära der großen Orchester mit einem leicht halligen Nachhall und schwülstigen Melodien, aber auch eine Verbindung kubanischer Musik mit Break Beats und Funk. Ähnlich wie „CUBA“ zu „ABUC“ wird, beginnt Fonseca nach seinem Rückblick in die Vergangenheit in den ersten beiden Stücken mit einem rückwärts laufenden Gitarrensound, um dann in der Guajira „Tumbao De La Unidad“ einem seiner Lieblingssänger, Eliades Ochoa, Gelegenheit als Gastsänger zu geben. „Contradanza Del Espíritu“ ist dagegen ein getragenes, besinnliches Stück mit impressionistischen Improvisationen Fonsecas. Danach mischt sich eine Afro-Beat-Rhythmik bei „Tierra Santa“ mit funkigem Bläsersatz. Richtig ausdrucksvoll steigert sich Fonseca in seinem Klavierspiel zu einem monotonen, langsamen Rhythmus in „Sagrado Corazón“, bevor es dann in „Family“ richtig funky mit einer swingenden Hammondorgel wird. Hier zeigt Fonseca, dass die zeitgemäßen Stücke nicht dazu da sind, irgendwie hip zu wirken, sondern er will hier die gleiche Qualität wie bei allen anderen Nummern präsentieren. Das gilt auch für das Rap-Stück „Soul Guardians“, bei dem er Hip Hop und Pianojazz verbindet. Die engelsgleiche melancholische Frauenstimme in „Habanera“ vermittelt dagegen ein träumerisches Hinwegdriften. Mit der Einladung von Posaunist Trombone Shorty will Fonseca zudem die Verbindung Kubas zur Musik von New Orleans symbolisieren. Eine Mischung aus Spoken Word und krautrockigen Klängen ertönt dann auf „Velas Y Flores“. Die musikalische Wundertüte beginnt und endet mit Ray Bryants „Cubano Chant“, einer Verbeugung vor dem Einfluss des amerikanischen Jazz in Kuba. Fonseca lässt sich also nicht so leicht fassen. Es ist ihm zu wünschen, dass er weiterhin schwer einschätzbar bleibt, denn in der kubanischen Musik gibt es leider auch oft recht Vorhersehbares. So aber ist Fonseca sein bisher ambitioniertestes Album gelungen.

Miramar – „Dedication To Sylvia Rexach“

Miramar – „Dedication To Sylvia Rexach“Barbès Records
Puerto Rico / Bolero

Ein anderer Stil, der aus Kuba kommt, ist der Bolero, Inbegriff romantischer Gesangsweise. In den 30er Jahren gelangte er auch nach Puerto Rico. Eine der beliebtesten, dortigen Bolero-Komponistinnen war Sylvia Rexach, die außerhalb Puerto Ricos kaum bekannt ist, jedoch als Musikerin in der männerdominierten Welt der Latin Music unbedingt Beachtung verdient. Sie lebte von 1922 bis 1961, brachte sich Klavier und Gitarre spielen selbst bei und gründete die erste puerto-ricanische Frauenband Las Damiselas. Sie schrieb Sketche fürs Radio, arbeitete als Kulturjournalistin und mitbegründete SPACEM, die puerto-ricanische GEMA. Außerdem war sie eine Frau, der man gewiss Respekt zollte, weil sie wie ihre Kollegen, kräftig rauchte, trank und endlose Partys feierte. Die Gruppe Miramar würdigte sie nun in einem Album. Es sind Boleros im herrlich altmodischen Retrosound, mit verträumter Orgel, klackenden Bongos und inbrünstig-betörendem Gesang des Sängers Rei Álvarez und der Sängerin Laura Ann Singh sowie den Arrangements der Pianistin Marlysse Simmons Argandona. Neben der Orgel kommen noch Klavier, E-Piano, Flamenco-Gitarre und auch Streicher zum Einsatz. Herrlich schmachtende Musik, die unbedingt in einen„Contradanza Del Espiritu“-Film passen würde.

Ron Carter Quartet & Vitoria Maldonado – „Brasil L.I.K.E.“

Ron Carter Quartet & Vitoria Maldonado – „Brasil L.I.K.E.“Summit Records, MC-Galileo
Bossa Jazz

Schon immer war US-Bassist Ron Carter der Bossa Nova zugetan. Zusammen mit der brasilianischen Sängerin Vitoria Maldonado, seinem eigenen Quartett, dem Orchester von Grammy-Gewinner Ruria Duprat sowie Gastmusikern wie Bossa-Legende Roberto Menescal und Trompeter Randy Brecker betrieb er für dieses Album ungewöhnlichen Aufwand. Vertont wurden Klassiker aus dem American und Brazilian Songbook, edel bis relaxed arrangiert, aber mit zu viel englischem Gesang, um als echtes brasilianisches Album durchzugehen. Maldonado hat eine frische und klare Stimme, trotzdem wirkt das Ganze sehr wohltemperiert. Der Crooner-Klassiker „I Only Have Eyes For You“ gerät z. B. zur Schlafzimmerfassung und damit wird dem Original viel Ausdruckskraft weggenommen. Ron Carter hat 2003 mit Rosa Passos ein elegantes, sehr reduziertes Album („Entre Amigos“) eingespielt, das zeigt, dass es dieses Aufwandes gar nicht bedurft hätte. „Brasil L.I.K.E.” wirkt wie ein Hochglanzfotoband auf dem Wohnzimmertisch – Teatablebook sagt man im Englischen dazu.

Aurelio – „Darandi“

Aurelio – „Darandi“Stonetree Records, Real World Records
Belize / Garifuna Music

Lange hat man nichts von der Garifuna Music gehört. Aurelio, einer der wichtigsten Interpreten des Garifuna-Volkes aus Belize, ist nun mit einer Werkschau zu hören, die aufhorchen lässt. Die fröhliche, melodiöse und schnelle Musik geht direkt in die Beine und ist dennoch voller politischer Statements. Twang-Gitarre, Snaredrum, Maracas und hoher, jubilierender Gesang sind typisch, die Läufe der Rhythmusgitarre erinnern an den kongolesischen Soukous. Man wünscht sich nur, dass die Instrumentalsoli wesentlich länger wären, dann geriete die Musik noch hypnotischer.

Azymuth – „Fenix“

Azymuth – „Fenix“Far Out Recordings
Brasilien / Samba-Fusion-Jazz

Azymuth, die Samba-Jazz-Legende ist wieder da. International war das Trio seit Jahrzehnten ein Aushängeschild für brasilianischen Fusionjazz. Nach dem Tod ihres Keyboarders Roberto Bertrami im Jahr 2012 fragte man sich, ob das Trio weitermachen würde. Sie waren schon mal etwas in Vergessenheit geraten, bis sie Joe Davis, Mastermind des Far Out Labels wiederentdeckte und sie zur Blaupause für den Sound des Labels machte. Bertrami wurde nun durch Pianist Kiko Continentino ersetzt und Ivan Conti und Alex Malheiros fahren fort wie gehabt: brasilianisch eingefärbter Kuschel-Jazz mit Ausflügen in Funk, Samba und Disco, in dem zwar nichts Aufregendes passiert, bei dem man aber gepflegt entspannen kann. Hier gibt es Synthie-, Syndrums- und E-Piano-Klänge noch wie in den Siebzigern. Mit dabei ist zudem Brasiliens Perkussion-Star Robertinho Silva, dessen Beitrag schon die halbe Miete ist. Leider gewinnt das Album erst zum Schluss an Fahrt und erreicht nicht unbedingt die rhythmischen Höhepunkte früherer Aufnahmen.

UTZ – „Todo Mundo É Feio“

UTZ – „Todo Mundo É Feio“Naff
Brasilien / Alternative

UTZ ist eine brasilianische Alternative-Rock-Band um den Sänger Renato Baccarat. Sie spielt mit einfachsten Stilmitteln und harmonisch recht ähnlichen Songs. Die Musik ist in gewisser Weise eintönig, aber eher dezent und lebt vom ausdrucksvollen Gesang. Irgendwo erinnert das etwas an Caetano Velosos stilistische Phase auf „Zii E Zie“ vor etwa fünf Jahren und ist nicht untypisch für den derzeitigen Sound brasilianischer Singer / Songwriter.

Flaco Jiménez – „Fiesta – Live In Bremen“

Flaco Jiménez – „Fiesta – Live In Bremen“MIG, Indigo
USA / Tex Mex

Yabbadabbaduh! Heiß geht’s her beim König der Quetschorgel, Flaco Jiménez. Der Texaner gilt als der bekannteste Akkordeonspieler des Tex Mex und er mischte einst die mexikanischen Polkas, Rancheras und Boleros mit Country-, Rock- und sogar Jazzeinflüssen auf. Jetzt ist ein 15 Jahre alter Konzertmitschnitt aus Bremen aus dem Jahr 2001 aufgetaucht, der Jiménez auf dem Höhepunkt seiner Karriere zeigt. Den meisten dürfte er am ehesten als Sideman von Ry Cooder bekannt sein, doch seine fünf Grammys hat er beileibe nicht dafür bekommen. Cooder ermutigte ihn, seine Musik anderen Stilen hin zu öffnen und umgekehrt bestimmte Jiménez stark den Sound insbesondere dessen Albums „Chicken Skin Music“ wie auch späterer Auftritte. Doch Jiménez hat dieses Konzept schon vor- und nachher zusammen mit Doug Sahm betrieben, dem Gründungsmitglied des Sir Douglas Quintets, dessen Hit „Mendocino“ nicht nur ein Oldie-Klassiker, sondern auch ein Ur-Song des Tex Mex ist. Mit Sahm und dessen Keyboarder Augie Meyers sowie Countrysänger Freddy Fender gründete Jiménez 1981 die legendäre Tex Mex-Gruppe Texas Tornados, die das weltoffene Konzept weiterentwickelte. Bald war er gefragt bei großen Stars von Dwight Yoakam bis zu den Rolling Stones.

Der heute 77-jährige Jiménez wirkt auf dem Album wesentlich vielfältiger im Vergleich zu den Aufnahmen mit Ry Cooder. Neben schmachtenden Melodien, mitreißenden Polkas zum Mitschunkeln und virtuosem Akkordeonspiel gibt es rockige Covers von den Beatles, Surf-Music-Einflüsse, aber auch Tex-Mex-Klassiker wie das unverwüstliche „Wooly Bully“ von Sam The Sham & The Pharaos oder gar die die Tejano-Fassung von Rocco Granatas Italo-Hit „Marina“ (mit deutschem Text!). Prasselnde Timbales und ein schmeichelndes Saxophon treiben die Musik an. Da kann man verschmerzen, dass der Sänger manchmal im Ton zu tief liegt.

Kurt Rosenwinkel – „Caipi“

Kurt Rosenwinkel – „Caipi“Razdaz Records, Heartcore Records
Deutschland / Brazil Jazz

Dann genehmigen wir uns zum Schluss noch einen Caipi, den uns der Berliner Gitarrist Kurt Rosenwinkel kredenzt. Gitarrist ist er aber nicht nur, denn er spielt hier noch Schlagzeug, Bass, Piano, Synthesizer, Perkussion und singt, und so rein brasilianisch wie der Titel suggeriert, ist seine Musik auch nicht. Vielmehr ist es eine jazzlastige Mixtur, die von der Atmosphäre brasilianischer Stile lebt, ohne deren Klischees zu kopieren. So vermeidet er den typischen Effekt, nach drei Sekunden brasilianisch zu klingen. Vielmehr schwingt da die ähnlich beeinflusste Musik Pat Methenys durch: flüssige Rhythmen, die textlose Begleitung des Instrumentalspiels durch chorähnlichen Gesang. Insbesondere die Rhythmen sind unkonventionell und lassen die Musik irgendwo zwischen Jazz und entspanntem Caipi-Genuss dahinschweben. Zehn Jahre hat Rosenwinkel an diesem Projekt gearbeitet und genug Renommee in dieser Zeit bekommen, dass sogar Eric Clapton als Gast vorbeigeschaut hat.

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Hans-Jürgen Lenhart schreibt als regelmäßiger Gastautor für das deutsche Lateinamerika-Magazin Latin-Mag. Er ist Musikjournalist und seit über 20 Jahren Experte für Latin Music. In der Artikelserie Latin Music News berichtet er alle zwei Monate über Neuerscheinungen in der lateinamerikanischen Musikszene.

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